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Dienstag, 28. November 2023

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Grigory Sokolov, Copyright: Marco Borrelli

Grigory Sokolov, © Marco Borrelli

Grigory Sokolov bei den Salzburger Festspielen

Absolute Klarheit

Grigory Sokolov ist Stammgast in Salzburg, mühelos füllt er das Große Festspielhaus. Das war schon so, als er in der Klavierwelt noch ein Geheimtipp war, und das ist – selbstverständlich unter Beachtung der Auflagen – in diesem Jahr dort tatsächlich wieder möglich. Chopin und Rachmaninoff stehen auf seinem aktuellen Recital-Programm, schon der markante Einstieg in die cis-Moll-Polonaise op. 26/1 charakterisiert Sokolovs unverwechselbar impulsives und intuitives Spiel, vereint klangliche Fülle mit sanften, warmen Farben. Das ganz spezielle Innenleben seiner Verzierungen fällt sofort auf, von absoluter Klarheit und konzentrierter Energie ist seine Tongebung. Kein Detail verflüchtigt sich im Pedalgebrauch, keine Wiederholung klingt dabei gleich – auch nicht im Vergleich zu anderen Auftritten mit demselben Programm, etwa im Juni in Wien (klassik.com berichtete).  

Kompromisslos intensiv

Die scharf geschnittene, rhythmisch elastische Artikulation springt den Hörer auch im Schwesterwerk op. 26/2 unmittelbar an, Gegenstimmen werden plastisch hörbar freigelegt. Sokolov fasst Chopin nicht mit Salon-Handschuhen an, virtuose Eleganz bleibt trotzdem nicht auf der Strecke, Rubati wirken nie aufgesetzt. Das gemäßigte Tempo in der fis-Moll-Polonaise op. 44 mag polarisieren, irgendwie schafft es Sokolov aber, auch damit musikalisch zu überzeugen, die kompromisslose Intensität seiner Interpretation bleibt. Scharfe Konturen haben die Aufwärtsskalen in der linken Hand, kraftvoll geschliffene Unisono-Bewegungen stehen neben feingliedriger Diskant-Melancholie, dann wieder neben einer Phrase von in Stein gemeißelter Wucht. Von Hörgewohnheiten muss man sich bei Sokolov oftmals verabschieden, so auch in der berühmten As-Dur-Polonaise op. 53. Im Gegensatz zu vielen Kollegen macht er daraus keine Bravournummer, sondern verleiht ihr klanggewaltiges – nicht falsches oder donnerndes (!)  – Pathos. Frei von kleinen Fehlgriffen ist hier fast niemand, entscheidend ist aber die musikalische Ansprache, die auch hier eindringlich und direkt bleibt. Ausgerechnet am Schluss bremst Sokolov agogisch dann doch etwas zu stark ab und artikuliert etwas zu sehr in die Breite.

Klavierereignis

Nach der Pause folgen Rachmaninoffs zehn Préludes op. 23. Im „Largo“ fasziniert die kräftig tragende Oberstimme, im „Maestoso“ beeindrucken voluminöse, dicht gedrängte Akkordfolgen. Mit kernig akzentuierter Staccato-Spannung spielt Sokolov das „Tempo di minuetto“, im „Andante cantabile" türmt er sauber getrennte, üppige Klangschichten über samtweich timbrierten Bässen. Ein schnelleres Tempo als in Wien wählt er für das berühmte „Alla marcia“, auch sein Anschlag ist noch präziser, hier wirken maximale, packende agogische und dynamische Kräfte. Empfindsame Poesie durchzieht das „Andante“, unwiderstehliche Zugkraft hat das „Allegro“, Sokolovs Anschlagsspektrum ist ganz einfach enorm. Wer denkt, die musikalische Spannung würde während der (brutto) insgesamt beinahe drei Stunden irgendwann nachlassen, sieht sich getäuscht. Ein eigener Programmteil bei Sokolov sind stets die Zugaben. Wie gut er Brahms kann, weiß man, seit er die Klavierstücke op. 118/119 in seinem vormaligen Programm hatte. Daraus trägt er mit feinsten klanglichen und emotionalen Schattierugen op. 118/2, 3 („Intermezzo“/“Ballade“) vor. Atemberaubende Intensität haben die Triller in Chopins Mazurka a-Moll op. 68/2, dessen Prélude op. 28/20, Skrjabins Prélude op. 11/4 und die Bach/Busoni-Transkription „Ich ruf zu Dir Herr Jesu Christ“ machen den Abend vollends zu dem, was ein Sokolov-Recital regelmäßig ist: Ein echtes Klavierereignis.

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Kritik von Thomas Gehrig



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