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Montag, 2. Oktober 2023

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Igor Levit, Copyright: Marco Borrelli

Igor Levit, © Marco Borrelli

Igor Levit bei den Salzburger Festspielen

Impulsives Temperament

Fast automatisch verbinden wohl viele – nicht zu Unrecht – den Namen Igor Levit mit Beethoven. Dass das zu kurz greift, bewies Levits restlos ausverkauftes Recital bei den Salzburger Festspielen. Beethoven begegnet man dabei zwar auch, allerdings im von Franz Liszt transkribierten Gewand: Sämtliche Symphonien hat dieser für Klavier bearbeitet, die Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 („Eroica“) steht auf Levits Programm. Darin, die orchestralen Klangfarben aufs Klavier zu übertragen, besteht hier die große Herausforderung – das gelingt beiden: Liszt mit dessen großartigem, satztechnisch stilsicheren Arrangement, Levit mit gewohnt hellwachem, inspiriertem Spiel. Dabei hat er zunächst mit der Höhenverstellbarkeit der Klavierbank zu kämpfen, als sich der seitliche Regulierungshebel dauerhaft löst, geht er damit ebenso souverän um wie mit der musikalischen Substanz.

Gestalterische Übersicht

Zu Beginn könnten zwar Sforzato-Akzente etwas kantiger ausfallen, in die rasanten, unbequem zu greifenden Sechzehntel-Turbulenzen der linken Hand mischt sich auch mal ein falscher Ton. Das legt sich aber schnell in der Wiederholung der Exposition, im weiteren Verlauf stellt Levit die komplexe dramaturgische Anlage mit musikalisch souveränem, eindringlichem Blick aufs Ganze dar. Liszts hohen spieltechnischen Anforderungen ist er ohnehin gewachsen, vollgriffige Tutti-Akkorde lässt er hell strahlen, auch im aufgewühlten Oktavgewitter behält er die gestalterische Übersicht. Plastische Genauigkeit erhalten kontrapunktische Passagen. Ein fast aufreizend langsames Tempo wählt Levit für den „Marcia funebre“-Satz, das verleiht der Musik besonders getragene Intensität auf der einen Seite, lässt stellenweise Phrasen aber doch etwas in die Breite gedehnt erscheinen. Wunderbar ausgesungen gelingt ihm das „dolce cantando“ im „Maggiore“-Abschnitt. Das „Scherzo“ versprüht mit griffigem „Sempre staccato“ und herzhafter Fülle in den jagdartigen Hornklängen des „Trio“ vitale Frische. Gekonnt baut Levit die Spannung der Eingangstakte im Finale auf, aus denen sich spielfreudig die vielgestaltigen Formen des Themas entwickeln. Neben impulsivem Temperament führt Levit eine feine polyphone Klinge. Mit grüblerischer Innigkeit versenkt er sich in den „Poco andante“-Abschnitt, bevor er zur klanggewaltigen finalen Geste ausholt – am liebsten würde man Beethovens eigene „Eroica-Variationen“ direkt hinterher hören.

Schwebende Sphären

Sucht man nach herausragenden Interpretationen von Schuberts drei Klavierstücken D 946, fallen einem spontan Experten wie ehemals Claudio Arrau, Alfred Brendel oder aktuell Grigory Sokolov ein. Vom ersten Stück an erzeugt aber auch Levit eine immense Binnenspannung, die es problemlos mit jenen aufnehmen kann. Gesangvolle Linien von höchster Intensität zeichnet er im „Andante“-Abschnitt, silbrig glänzende Läufe überzeugen ebenso wie statisch aufgeladene Tremoli und weich gefedertes Bass-Timbre. Elektrisierende Tremoli fesseln im zweiten Stück, zielstrebiger Elan und sensible Expressivität im C-Dur-Stück bzw. dessen Des-Dur-Teil. Spontane Assoziation: Levit und Schubert? Bitte mehr davon! Zum Abschluss gibt es Prokoffjews Sonate Nr. 7 B-Dur op. 83. Auch das eine spannende neue Seite von Levits Repertoire, für die er sich nachdrücklich empfiehlt: Energiegeladen und rhythmisch zupackend transportiert er die perkussive Agogik des Kopfsatzes, wenn er auch nicht ganz so aus sich herausgeht wie einst Svjatoslav Richter, der das Werk 1943 auch uraufführte. Dem Thema des „Andante caloroso“ verleiht er die überschriebene kantable Wärme und taucht es in träumerisch schwebende Sphären. Das „Precipitato“ könnte hier und da vielleicht noch einen Schuss beißendere Schärfe und etwas ruppigere Artikulation vertragen, ausgefeilte dynamische Schattierungen und äußerste musikalische Präsenz fesseln aber auch hier. Für Standing Ovations bedankt Levit sich mit der ergreifend warmherzig vorgetragenen Bach/Busoni-Transkription von „Nun komm, der Heiden Heiland“.

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Kritik von Thomas Gehrig



Kontakt zur Redaktion


Solistenkonzert: Igor Levit

Ort: Großes Festspielhaus,

Werke von: Ludwig van Beethoven, Franz Liszt, Franz Schubert, Sergej Prokofieff, Johann Sebastian Bach, Ferruccio Busoni

Mitwirkende: Igor Levit (Solist Instr.)

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