Delta Piano Trio, © Sarah Wijzenbeek
Delta Piano Trio brilliert
Aufwühlend bis zur letzten Note
Drei niederländische Künstler, Gerard Spronk (Violine), Irene Enzlin (Cello) und Vera Kooper (Klavier), gründeten 2013 in Salzburg das Delta Piano Trio. Zwischen 2014 und 2017 gewannen sie zahlreiche Kammermusikwettbewerbe, produzierten ihre erste CD und begaben sich auf Tournee. Von Anfang an bestimmten sie ihre Ausnahmeposition durch ihr Repertoire, schwerpunktmäßig verankert im 20. und 21. Jahrhundert, Werke von Komponisten, deren Klangwelt sich erst nach intensiver Auseinandersetzung erschließt, im persönlichen Austausch, in der Konfrontation, in der Reflektion.
Diesem Prinzip entsprach die Konzertdramaturgie zu Folge 6 in Sachen Sinn beim Davos Festival, überschrieben mit „Lebenssinn“. Auf dem Programm standen Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2, op. 67 aus dem Kriegsjahr 1944, zerlegt in einzelne Sätze, dazwischen Duette von J. S. Bach und auszugsweise Lesungen aus Julian Barnes „The Noise of Time“ über das Leben Dmitri Schostakowitschs, zum finalen Abschluss schließlich das Agnus Dei aus der doppelchörigen Messe von Frank Martin.
Jenseits der Frage nach Sinn
Es war an einem kalten Januartag, als Schostakowitsch seine politische Unschuld für immer verlor. „Chaos statt Musik“ las er an diesem frühen Morgen auf dem Bahnsteig in der Prawda, die Reaktion auf Stalins Besuch einer Aufführung der Oper Lady Macbeth im Moskauer Bolschoi-Theater. Mit einem Schlag wurde Schostakowitsch zum Staatsfeind erklärt. Die Angst, die sich in diesem Moment in sein Bewusstsein eingrub, wurde er nie mehr los, selbst dann, als man ihn später hoch dekorierte. Nach außen hin fügte sich Schostakowitsch dem Diktat der Sowjetunion. Systemkritik an Staat, Kirche und Gesellschaft, die er in seinen Jugendwerken so selbstverständlich laut krachend und scheppernd zum Ausdruck gebracht hatte, versteckte er fortan geschickt hinter der Maske des Gottesnarren zwischen den Noten. Nur in seiner Kammermusik sprach er aus, was er dachte und was ihn quälte, allerdings auf sehr subtile Weise.
Außergewöhnliche Interpretation
Das Klaviertrio Nr. 2 op. 67 gleicht einem Inferno aus fahl schneidenden Flageolett-Tönen, perkussiven Schlagelementen und irrwitzigen harmonischen Wendungen. So marmorierte Schostakowitsch seine Trauer über den viel zu frühen Tod seines engen Freundes und Unterstützers Iwan Sollertinski und seinen Zorn gegen jene, die während des dauernden Krieges mit entgrenzter Brutalität die Juden verfolgten und vernichteten, in Noten, deutlich markiert mit seinen in Töne gegossenen Initialen. Versöhnliches oder Trost blieb bis zur letzten Note außen vor.
Die Interpretation dieses Werkes durch das Delta Piano Trio kennzeichnete eine Durchdringung, wie man sie nur selten im Konzertsaal hört. In allen Parametern perfekt aufeinander abgestimmt, nach allen Extremen greifend, um die hier in Noten gefasste Tragik in ihrer ganzen Bandbreite fühlen zu lassen, musizierten sie hinreißend und konfrontierten die Zuhörer ohne Rücksicht mit dieser Schmerz überladenen Musik.
Fast nahtlos setzte Matías Lanz am Cembalo zwischen den einzelnen Sätzen mit einem Duett von J. S. Bach ein. 2015 lieferte die Wissenschaft den Beleg, dass Bachs Musik Blutdruck und Herzfrequenz vergleichbar einer entsprechenden Medikamentierung senken würde, was Lanz aufgrund seines unregelmäßig strukturierten und teilweise holprigen Spiels nur mäßig gelang.
Julian Barnes Sprache ist sehr plastisch, seine Schilderung von Schostakowitschs Leben vergleichbar mit Schostakowitschs Kompositionen, die er mit Ironie und Sarkasmus spickte, bei Barnes nur einige Grade milder. Allein Barnes Erzählkunst bewirkte, dass Sprecher Elias Reichert trotz schnellen Redeflusses und wenig durchdachter Rededramaturgie die Wirkung der Textpassagen nicht verfehlte.
Frank Martin komponierte seine doppelchörige Messe zwischen 1922 und 1926, dann legte er sie in eine Schublade. Erst 40 Jahre später wurde sie uraufgeführt. Nach dem Grund gefragt sagte Martin, die Messe sei ausschließlich eine Sache zwischen Gott und ihm gewesen. Der DAVOS FESTIVAL Kammerchor unter Leitung von Andreas Felber intonierte zum Schluss aus dieser Messe das Agnus Dei, eine in flächigen Klängen spürbare Erlösung von aller Schuld und Last und Gewissheit des ewigen Friedens. Darauf folgte minutenlanges Schweigen eines zunächst tief betroffenen und mit Martins Musik getrösteten Publikums.
Kritik von Christiane Franke
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Lebenssinn: Konzert
Ort: Hotel Schweizerhof,
Werke von: Frank Martin, Johann Sebastian Bach, Dimitri Schostakowitsch
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