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Ensemble, © Opéra Royal de Wallonie - Liège
Großer Jubel für Verdis 'Don Carlos' in Lüttich
Im Geflecht der Macht
Der Mann der Tat am Lütticher Opernhaus heißt Stefano Mazzonis di Pralafera. Er ist der Chef des schmucken reizvollen Opernhauses im französisch sprechenden Belgien. Es ist ein Glücksfall, dass Mazzonis wiederholt eine hervorragende internationale Sängerriege an sein Haus verpflichtet. In der fast fünfstündigen Fassung des 'Don Carlos‘ blicken die Augen in ein historisches, ganz auf die inneren Konflikte der Protagonisten konzentriertes Musikdrama. Und die politischen und sozialen Aspekte kommen in dieser spannungsgeladen Inszenierung nicht zu kurz. Denn sie klingen der Bühne entsprechend aus dem Graben herauf, quillen aus der meisterhaft dirigierten Partitur, die der ehemalige Chefdirigent der Lütticher Oper, Paolo Arrivabeni, mit den Instrumentalisten des Orchesters der l’Opéra Royal de Wallonie gestaltet. Mazzonis zeigt ein zu anfangs heiteres, nahezu unbekümmertes, dann von ‚schwarzer Tinte’ durchflutetes Operndrama.
Grand Opéra vom Feinsten
Intendant und Regisseur Mazzonis di Pralafera zeigt die allererste französische Fassung aus dem Jahr 1866, welche er als das Original überhaupt ansieht. Verdi komponierte die Oper, die als Grand Opéra angelegt ist, für Paris natürlich in französischer Sprache. Ganz nebenbei: Verdi konzipierte bereits 1865 seinen ‚Don Carlos‘, danach gab es ab 1866 (Paris) bis 1886 (Modena) insgesamt sieben Fassungen, teils in französischer, teils in italienischer Sprache, mit fünf oder mit vier Akten, mit oder ohne Ballett. Mazzonis entschied sich nicht für die selten aufgeführte, die sogenannte ‚Urfassung‘ von 1867, sondern geht in das Jahr 1866 zurück, in welchem Verdi eine als ‚Version des répétitions‘ bezeichnete Fassung präsentierte, aus der er für die Uraufführung am 11. März 1867 an der l’Opéra de Paris einige Arien streichen musste und diese durch das für die Grand opéra obligatorische Ballett zu ersetzen hatte. Im Lütticher Don Carlos sind diese Arien wieder eingefügt und das Regieteam verzichtet stattdessen auf die Balletteinlage 'La Pérégrina', die zum Beginn des dritten Aktes stand. Wir erleben eine Grand Opéra vom Feinsten in der Tradition von Meyerbeer oder Berlioz.
Perfekte Tableaus
Bühnenbildzauberer Gary MacCann schuf die perfekten, opulenten Tableaus, welche uns auf eine fantasievolle Zeitreise schicken. Die Welt des Waldes von Fontainebleau, der spanische Hof mit Lustgärten und plätscherndem Springbrunnen oder die des Klosters von Saint Just sind eine Augenweide. Zudem betonen die nahezu 400 stilechten historischen Kostüme, kreiert von Fernand Ruiz, dass in Liège traditionelle Operninszenierungen en vogue sind. Also: kein Handbuch zur Entschlüsselung einer von der Regie verdrehten Geschichte wird gebraucht. Regietheater-Extravaganzen sind ebenso Tabu. Es handelt sich um eine ganz einfache Geschichte, die mit jeder Szene komplexer wird.
‚Don Carlos‘ war eine ‚Herzensoper‘ für den italienischen Komponisten. Das Libretto stammt von Joseph Méry et Camille Du Locle auf der Grundlage von Schillers Drama ,Don Karlos' und des Theaterstücks 'Philippe II, roi d'Espagne' von Eugène Cormon. Verdi verschiebt Schillers politischen Blickwinkel, der sich in der ikonischen Forderung und dem Freiheitsgedanken Maquis de Posas ‚Sir, geben Sie Gedankenfreiheit‘ entlädt, hinein in eine von inneren Konflikte berstende Liebes- und Dreiecksbeziehung um Eifersucht, verschmähte Liebe, falsche Hoffnungen und persönlichen Verrat.
Im Wald von Fontainebleau beginnen die Liebesgeschichte und das Liebesverhängnis von Elisabeth von Valois und des spanischen Infanten Don Carlos. Sie ist ihm als Friedenspfand versprochen, begegnet diesem, ihr erst Unbekannten, während im Schloss die Friedensverhandlungen stattfinden. Die zeigt Mazzonis sehr eindringlich im ersten Bild. Der strenge Winter, ein leidendes Volk, Hungerepidemien, Kriegsheimkehrer, Opfer der Mächtigen, das sieht Elisabeth und hat Mitleid mit dem Volk. Wir erleben, wie sie anstatt dem Sohn seinem Vater Philipp II. angetraut wird und was dies aus ihr, aus Don Carlos und dessen Vater macht. Aus Figuren der Weltmacht werden Menschen. Auch der Chœur de l’Opéra Royal de Wallonie-Liège, der herrlich geschlossen, kraftvoll intonierend klagt, erhält bei Verdi ein Gesicht der Humanität. Diese Inszenierung verlässt sich ganz und gar auf die Kraft der Musik, um das komplexe Beziehungsgeflecht der Figuren offenzulegen.
Starke Frauen, von der Macht fremdbestimmte Männer
Die einst vom Glück träumende Elisabeth de Valois (Yolanda Auyanet singt sie intensiv, fraulich mit gestalterischem Willen) wird um alles betrogen, was ihre Zukunft ausgemacht hat. Sie muss sich der Eifersucht des Gatten stellen, der sie würdelos behandelt, und sie bleibt ein Spielball in einer Männerwelt. Da sind die schönen Kleider nur Staffage, um den inneren Gram und die maßlose Trauer zu verhüllen. Gregory Kunde gibt einen herben, zunächst leicht ungenauen Don Carlos. Er ist eher ein starker, kämpferischer Geist als ein jugendlich ungestümer Carlos. Dies passt aber gut zur besonnen ihm gegenüber verhaltenen Elisabeth. Kein Liebespaar sind die beiden, sondern zuallererst zwei Gescheiterte, am Schicksal zerbrechende Menschen, die sich der Staatsmacht beugen müssen. Lionel Lhote interpretiert einen starken, charaktervollen Rodrigue. Sein Marquis de Posa hat gesanglich baritonale Wärme und inneren Schmelz. Dies hört man selten so.
Glücksmomente
Die Klänge des Freundschaftsduetts von Don Carlos und Posa durchströmen als musikalische Erinnerung immer wieder dann den Raum, wenn sich Carlos oder Posa treffen. Es bekräftigt ihren Lebensbund, ihren Eid, für die Freiheit mit allen Sinnen einzustehen. Glücksmomente stellen sich ein, wenn Ildebrando d’Arcangelo den großen Einsamkeitsmonolog Philippe II im vierten Akt ‚Sie hat mich nie geliebt‘ anstimmt. Mit herrlich sonorem Ton, streng unterkühlter Eleganz und schwerem Herzen macht er uns glauben, was in ihm zerbrochen ist. Kate Aldrich als Prinzessin Eboli verführt das Publikum sofort bei ihrem glanzvollen ersten Auftritt. Sie ist eine Ausnahmesängerin. Die rasend Verliebte sowie die rachsüchtige Intrigantin, die den König verführt, dies dann Elisabeth gesteht und zuletzt Reue zeigt, gestaltet sie mit überschäumendem Mezzotimbre. Der bösartig grausame Großinquisitor, gesungen vom vollmundig-schwarzbassig tönenden Roberto Scianduzzi, macht erkennbar. in welch schwere Zeit, eine von der Inquisition bestimmte Epoche, die musikdramatische Zeitreise uns hingeführt hat. Gut fügt sich das beherzt agierende Ensemble in die Szenerie.
Das Orchestre de l’Opéra Royal de Wallonie bietet unter seinem Dirigenten Paolo Arrivabeni einen Verdi-Abend, der nachdenklich macht. Dieser wurde mit einem langen begeisterten Applaus gefeiert. Die Lütticher Oper wartet mit einem grandios-illustren, musikalisch einmalig tiefsinnigen 'Don Carlos' von Giuseppe Verdi auf.
Kritik von Barbara Röder
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