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GMD Patrick Lange, © Neda Navaee
'Der Rosenkavalier' am Staatstheater Wiesbaden
Kammerspiel der Eitelkeiten
Die Neuinszenierung des 'Rosenkavaliers', den der Regisseur Nicolas Brieger am Staatstheater Wiesbaden in Szenen gesetzt hat, zeigt viel Interessantes, birgt einige Überraschung, kann musikalisch nicht immer begeistern. Am Pult stand GMD Patrick Lange. Wie stellt ein Regisseur ‚Zustandsmusik‘, Sphärenklänge und eine eigentlich groteske und turbulente Geschichte mit ‚bunter, fast pantomimisch durchsichtiger Handlung‘ auf die Bühne? Was erleben die Zuschauer in der neuen Wiesbadener Inszenierung des 'Rosenkavaliers', die Nicolas Brieger und sein Team in Szene gesetzt haben? Denn über die Zeit, verflossene Lebenszeit, verpasste Gelegenheiten und glorreiche Eroberungen nachzusinnen, ihnen nachzutrauern oder sie erneut durch Träumerei wiederkehren zu lassen, ist recht mühselig. Das Leben vergeht. Es will gelebt werden. Ab und zu rinnt es rauschhaft an uns vorbei, und es scheint, andere führen ein besseres und erfüllteres Dasein. Als Richard Strauss und sein kongenialer Librettist Hugo von Hofmannsthal in der Fin-de-siècle- Stimmung des letzten Jahrhunderts ihre Endzeit-Musikkomödie 'Der Rosenkavalier' am 26. Januar 1911 in Dresden auf die Bühne brachten, wurde sie stürmisch bejubelt. Bis heute ist der 'Rosenkavalier' eine der meistgespielten, meistinszenierten Opern des 20. Jahrhunderts. Strauss wollte eine Hommage an sein Idol Mozart und die Bewunderung für die Opera buffa in neue, musikpoetische Gewänder kleiden. Es ist fulminant geglückt.
Grande Dame
Abgeklärt, gelangweilt ist die Marschallin. Auch wenn ihr jugendlicher Geliebter Quinquin sie gerade zum jauchzenden erotischen Höhepunkt katapultiert hat – das Beben und Leben ertönt lautstark zu Beginn des ersten Aufzugs. Brieger rückt die Wiesbadener Feldmarschallin im Verlauf der Oper aus dem Mittelpunkt des Geschehens. Sie ist eine Grande Dame, selbst wenn sie im roten Kimono über ihre verrinnende Lebenszeit nachdenkt. Eigentlich wundert sie sich über nichts. Insgeheim denkt man: Diese Frau hat noch eine Rechnung offen und wartet auf den Moment, in dem sie sich für die Bosheiten rächt, die ihr angetan wurden. Es ist in wenig wie in Dürrenmatts 'Besuch der alten Dame'. Dass der Marschallin ein Tattoo um die Fußfessel rankt, ist schon eine Aussage: Wir haben es mit einer starken, lebensbejahenden Lady zu tun. Von Nicola Beller Carbone gesungen, erscheint sie später mondän im Leopardenfellmantel und Sonnenbrille, recht distanziert, erhaben und ein wenig blutleer.
Briegers Gespür für Mozart und Strauss ist allgegenwärtig spürbar. Er präsentiert in Wiesbaden ein vertrackt-heiteres, düsteres Kammerspiel der Eitelkeiten. Seine Figuren sind Menschen, die an unterschiedlichen Lebensstationen altern, Halt machen und kurz, sehr kurz über ihr Liebesleben und die erotischen Abenteuer nachsinnen, um ohne Rückkehr oder Besinnen genauso betäubt und cool weitermachen wie zuvor. Sind es wirklich Menschen aus Fleisch und Blut, die auf der großen Bühne weit auseinander stehen und eher wie Figurinen auf dem Schachbrett wirken? Das würde die statischen, fast pantomimischen Aktionen der Protagonisten erklären. Diese illustre Personnage würde auch in eine 'Fledermaus' oder in 'Hoffmanns Erzählungen' passen. Sie bewegt sich in einem mit weißen wallenden Vorhängen umrandeten, halbrunden Bühnenraum, der im ersten Aufzug, dem Schlafgemach der Marschallin, lediglich mit einem Bett und Stuhl bestückt ist. Hinter dem Vorhang lauern die Bediensteten. Allesamt in Schwarz-weiß gehalten. Wenn der lüsterne Baron von Ochs ins Gemach stürmt, tritt er als ‚Karl Lagerfeld‘ mit einem Gefolge von mit schwarzen Raben-Schnabelmasken bestückten Dienern auf. Die schwarzen Raben erinnern an die Figur des Zanni, den Diener aus der Comedia dell’ arte. Die stumme Rolle des Leopold wird dem Schauspieler Lukas Schrenk anvertraut. Er ist vielleicht das junge Ego des jetzt gealterten, lustbetonten Ochs. Mit wallender Lockenpracht und Zylinder bewegt sich dieser Leopold wie E.T.A. Hofmann. Grandios böse und mit Wiener Nonchalance spielt und singt Karl Heinz Lehner den Ochs. Es ist eine seiner Paraderollen.
Parkett der Eitelkeiten
Im zweiten Aufzug, der im neureichen Haus des Herrn von Faninal (sonor bestimmend: Thomas de Vries) spielt, stellt der Bühnenbildner Raimund Bauer einen goldenen Panzer und einen goldenen Globus, der als Bar dient, in den hinteren Teil der Szenerie auf die Bühne. Es ist der Haushalt eines Waffenfabrikanten, der seine Tochter Sophie mit ‚altem Adel‘ verehelichen will. Hier kommt es zur Begegnung zwischen dem jungen Geliebten der Marschallin, Octavian (er trägt einen silbernen Glitzeranzug und zieht auch gerne mal zur Stärkung einen Flachmann aus dem Revers), und dem braven Schulmädchen Sophie in der schwarz-weißen Schuluniform. Brieger lässt keinen Zweifel daran, dass Octavian ein Verführer par excellence ist, der sich nimmt, was er begehrt (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer). Er hat die Strippen in der Hand, bewegt sich auf dem Parkett der Eitelkeiten und Selbstoptimierung elegant und höchst selbstbewusst. Er umgarnt und verführt Sophie. Berauschend schön, mit erhabener Eleganz überzeugt Silvia Hauer als Octavian. Aleksandra Olzcyk sprudelt silberne Klangfarben versprühende Soprantöne. Ihre mit quicklebendiger Strahlkraft durchleuchtete Sophie ist ein Erlebnis. Sie ist ein Glücksfall für Wiesbaden!
Im letzten Aufzug, der in einem Rotlicht-Etablissement spielt, geht es ziemlich derb zur Sache, wenn Ochs das vermeintliche Rendezvous mit dem Stubenmädchen Mariandl hat. Er wird mit allerlei Schabernack vorgeführt und als No-Go-Ehemann für die zarte Sophie enttarnt. Hier beherrscht die Farbe Rot das Geschehen. Rot für Sünde, Liebe und Herzschmerzensangelegenheiten. Witzig kapriziös singen das Intrigantenehepaar (Valzacchi: Rouwen Huther, Annina: Fleuranne Brockway). Gut sind die prägnant ausgetüftelten Rollen des Dieners Mohammed mit Mick Morris Mehnert, des italienischen Heldentenors von Ioan Hotea und in dieser Inszenierung des als Transvestiten ausstaffierten Wirtes (gut intonierend: Erik Biegel). Der Chor agiert und singt bestens vorbereitet. Das Orchester des Staatstheaters musiziert hochkonzentriert, zuweilen zu forsch und auf vorwärtsdrängende Tempi setzend unter der Leitung von Patrick Lange.
Kritik von Barbara Röder
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Der Rosenkavalier: Richard Strauss
Ort: Hessisches Staatstheater,
Werke von: Richard Strauss
Mitwirkende: Patrick Lange (Dirigent), Orchester des Staatstheaters Wiesbaden (Orchester)
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