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Montag, 27. März 2023

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Barbe-Bleue (Offenbach), Copyright: Bertrand Stofleth

Barbe-Bleue (Offenbach), © Bertrand Stofleth

Barbe-Bleue an der Opéra national de Lyon

Die Welt tanzt

Lyon am Abend der Sonnenwende 2019. Brigitte Macron, die First Lady Frankreichs, tanzt. Der Elysée-Palast, ganz Frankreich zelebriert die Nacht der Nächte: La fête de la musique. Viele Franzosen, ob jung, ob alt, tanzen auch ausgelassen vor der Opéra National de Lyon. Andere strömen hinein in den Musentempel, der für die Menschen der Stadt zum Mittelpunkt ihres kulturellen Lebens geworden ist. Jacques Offenbachs freche Gesellschaftssatire, die Opéra-bouffe in drei Akten 'Barbe-Bleue' steht auf dem Programm und zum wiederholten Male wird vor ausverkauftem Haus der 200. Geburtstag des Meisters der französischen Operette gefeiert. Was für ein Fest! Das beschwingte Dirigat von Michele Spotti, die ausgebufft spritzige Inszenierung von Laurent Pelly und die lustvoll komischen Sängerdarsteller bringen auch an diesem Abend den Saal zum Kochen. Ein Triumph für den Hausherrn der Oper, Serge Dorny. Ein grandioser Abend für Jacques Offenbach!

Annäherungen an Offenbach 

Max Nordau, ein deutscher Korrespondent, schreibt 1878 aus Paris voller Verzücken über Jacques Offenbach: Dieser Künstler sei der ‚Aristophanes unsrer Zeit’ und vollkommen der Sohn seines Jahrhunderts, ein wirklich moderner Mensch, ein Philosoph. Ein herrliches Stück Feuilleton, das zwei Jahre vor Offenbachs Tod 1880 erschien, kaum Eindruck bei der musikhistorischen Welt hinterlassen hat. Am 20. Juni 2019 wurde nun Offenbachs Geburtstag begangen, zahlreiche Veranstaltungen in Deutschland stehen, standen auf den Spielplänen. Die Stadt Köln feiert ihren berühmten Sohn sogar ein ganzes Jahr lang. Unter dem Motto 'Piff, Paff, Puff' und auf der Webseite www.yeswecancan.koeln gibt es so einiges zu entdecken. Für die diesjährigen Salzburger Festspiele inszeniert der Tausendsassa Barrie Kosky diesen Sommer einen neuen 'Orphée aux enfers'. Aber sind wir doch mal ehrlich, so richtig bewusst scheint das, was der ‚Mozart der Champs-Élysées‘ (Rossini) außer der berühmten 'Barcarole' aus seiner postum aufgeführten Oper 'Hoffmanns Erzählungen' hinterlassen hat, nicht im musikalischen Gedächtnis vieler deutschen Theater und Opernhäuser und beim Publikum eingegraben zu sein. Immer noch rümpfen eingefleischte Klassikfans die Nase, wenn es um das breit gefächerte Vermächtnis von Offenbach geht. Der Blick nach Frankreich verrät hingegen eine gut gepflegte, erfreuliche lebendige Offenbach-Rezeption. 

Klingende Abbilder der Gegenwart

Offenbachs Tonkunst beherrscht den Wohllaut des Melancholischen ebenso wie satirische Spitzen im ‚Galop infernal‘-Rhythmus, den karikierenden Walzer-Beat sowie eine überströmende Lebenslust, Lebensenergie, die mit frecher Frivolität garniert ist. Er treibt es (musikalisch) immer auf die Spitze und das mit einem Lächeln in den Mundwinkeln. Offenbach war Kritiker seiner Epoche, der über sich selbst sicher am meisten schmunzelte. Seine unablässige Theaterbesessenheit ließ ihn 1855 seine eigene Institution gründen, das Théâtre des Bouffes-Parisiens, die ‚Wiege‘ der französischen Operette. Die klassische Opéra-comique entwickelte sich dank seiner schöpferischen Erneuerung des Genres zur Opéra-bouffe. ‚Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären’ schreibt Friedrich Nietzsche. Dieser Charakterzug, das Chaos des Inneren zu erforschen, um Heiteres, Schwebend-Leichtes in Töne zu setzten, trifft offensichtlich auf Jacques Offenbach zu, den Fantasten und musikalischen Chronisten seiner ‚Belle Époque‘. Die Tänze seiner Opéra-bouffes sind Tänze auf einem brodelnden Vulkan, die nie in ‚Seligkeiten‘ oder Selbstverliebtheit verpuffen, sondern wie perlender Champagner genussvoll die Gurgel hinunterlaufen. Offenbachs Musik braucht ein waches Ohr, einen hellen Verstand und ein kluges Bewusstsein. Dann hört und sieht man direkt hinein in die wundersame Welt des ein wenig rätselhaft bleibenden, genialen ‚Pariser Weltbürgers‘.

Beispielhaft in Szene gesetzt

An der Opera Lyon hat sich wieder Laurent Pelly, der als Meister einer lebendigen Offenbachrezeption von Publikum und Presse zu Recht gelobt wird, ans Werk gemacht, eine den heutigen Zeitgeist widerspiegelnde 'Barbe-Bleue'-Geschichte zu erzählen. Urkomisch, virtuos sind Pellys Offenbach-Inzenierungen und seine dazugehörigen Kostümkreationen. Pelly kitzelt wie schon Jahre zuvor im 'Orphée', der 'Belle Hélène' und der 'Grande Duchesse de Gerolstein' den melancholischen Witz und die federnde Tiefe aus dem Stück. Zudem verfasste Agathe Mélinand die überschäumenden, rasant gesprochene Dialoge. Das hat Biss, das sitzt. Ab dem 13. Dezember 2019 ist übrigens sein 'Le Roi Carotte' nochmals in Lyon zu erleben. 

Dass Offenbachs zweite Operette 'Le Barbe-Bleue', die er zusammen mit dem Librettisten-Duo Henri Meilhac und Ludovic Halévy schuf, zum französischen Opéra-bouffes-Repertoire zählt und als das Cremeschnittchen gilt, liegt sicher an der wahnwitzigen, ja glücklichen Heirat von Wort und Ton. Zudem sang die damalige Operettendiva Hortense Schneider (sie triumphierte als 'Belle Hélène' in Offenbachs gleichnamiger Operette), die komischste Partie des Stücks. Offenbach schrieb ihr die Partie der Boulotte auf den Leib. Zum Vergnügen aller und der Nachwelt.

Doch was passiert nun in dieser grotesk humorvollen Geschichte? Der erste Akt spielt auf einem Bauernhof (Bühne: Chantal Thomas). Ein Bauernpärchen flötete sich Liebesbekenntnisse, Neckereien in Ohr. Es sind Fleurette und Prinz Saphir. Fleurette ist die vor Jahrzehnten in einem Körbchen ausgesetzte Tochter von König Bobeche. Die eigentliche Hauptpartie im ‚Barbe-Bleu‘ ist die dralle Bauernschönheit Boulotte. Sie stellt Saphir nach und hat eine ausgeprägte nymphomanische Natur. Ausgerechnet sie, das ist das Witzige, wird nach einem Tugendwettbewerb unter den Frauen des Dorfes die sechste Gattin von Blaubart. Dieser kreuzt samt Chauffeur in seinem schwarzen Superschlitten auf und schleppt Boulotte ab. Seinen Einstand ‚Ich bin Blaubart, hollero! Nie war ein Witwer so lustig und froh!‘ singt der famose Spieltenor Yann Beuron mit eingefleischt verschmitzter Eleganz. Barbe-Bleue liebt die Frauen, oder doch nur seine eigene Verliebtheit? Ein wenig ist er mit Don Giovanni seelenverwandt. Pellys Blaubart sieht mit seiner stylisch geschorenen Frisur und dem gepflegten dunkelblauen Bart aus wie ein Fußballstar. Aalglatt berechnend, aber weichherzig, wenn es um ihn geht. Besonders schön gerät auch das berühmte Couplets 'Ah, c’est un Rubens! Un fameux Rubens!' Es ist der Lobgesang auf die Figur der Boulotte. Héloïse Mas gibt diese formidable Heroin der Stunde voller Inbrunst und mit geschmackvollem Mezzo.

Trotteliger Tyrann

Im zweiten Akt befinden wir uns im Schlosssaal von König Bobeche, eine Parodie auf alle etwas trotteligen, dennoch tyrannisch und launigen Herrschernaturen. Herrlich Christophe Mortagne als Bobeche, der einen Schuss Mr. Bean in die Partie hineinlegt. Fleurette (süß und entzückend: Jennifer Courcier) hat sich in die königliche Hermie verwandelt. Papa hat nach ihr suchen lassen und jetzt steht die Hochzeit mit Saphir an; Carl Ghazarossian singt ihn mit jugendlich frischem, tenoralem Timbre. Saphir ist natürlich kein Bauernbursche, sondern Prinz. Das passt fürs Happy End. Königin Clémentine (Aline Martin gibt sie mit amüsiertem Queen-Elisabeth-Touch), ist natürlich herzergreifend glücklich. Und was passiert mit Barbe-Bleue und seiner sechsten Gattin Boulotte? Im dritten Akt stellt sich heraus, dass Blaubarts Alchimist Popolani (verschmitzt klangvoll: Christophe Gayon) die fünf Gattinnen des Frauenhelden nur mit einem Narkotikum eingeschläfert hatte, anstatt sie um die Ecke zu bringen. Popolani gesteht es Boulotte. Alle Damen sind putzmunter und heiraten die fünf scheinbar zum Tode verurteilten Grafen aus dem Reiche Bobechs. Comte Oscar (beherzt drollig: Thibault de Damas) hat diese natürlich nicht im Namen von Bobeche hinrichten lassen.

Im großen Finale zähmt Boulotte ihren Blaubart und es gibt fünf Hochzeiten ohne Todesfall! Der famos singende Chor (Karine Locatelli) der Opéra National de Lyon streut die grellbunten und honigsüßen Farbtupfer in das große Barbe-Bleue-Tableau. Dirigent Michel Spotti tänzelt mit hochsinnlicher und dennoch entschlackter, sich auf das Wesentliche besinnender Dirigierkunst durch die voller Ideen sprühende Partitur. Er ist ein Glücksfall für diese Produktion und für das Orchestre de l‘Opéra de Lyon. Die Menschen, die die Oper verlassen, strömen den Klängen in den Straßen entgegen mit der Musik Offenbachs im Ohr, einem leichten Gang, einem Hüftsprung, spitzen Lippen und trällern: ‚Je suis Barbe-Bleue…‘. Ein berauschender Abend. Eine gelungene Hommage an Jacques Offenbach, der es verstand, dem Melancholischen federnden Esprit einzuhauchen.

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Kritik von Barbara Röder

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Barbe-Bleue: Jacques Offenbach

Ort: Opéra national,

Werke von: Jacques Offenbach

Mitwirkende: Orchestre de l'Opéra de Lyon (Orchester), Yann Beuron (Solist Gesang)

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