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Yolanda Auyanet, Ensemble, © Iko Freese
Bellinis 'Norma' in St. Gallen mit Yolanda Auyanet
Mondscheinromantik in musealen Ruinen
In St. Gallen ist die 'Norma' zurück. Und wie Operndirektor Peter Heilker sagt, ist es die erfolgreichste Produktion des Hauses, was durch die fast ausverkaufte Vorstellung an einem verschneiten Abend mitten in der Woche bestätigt wird. Die Ostschweizer scheinen Belcanto zu lieben und haben mit dieser Präferenz das Opernhaus am Bodensee zu einem wichtigen Zentrum für die Pflege von seltenen und seltensten Belcanto-Werken gemacht. Zur Erinnerung: Mayrs 'Medea' wurde dort aufgeführt (und für CD aufgenommen), ebenso Donizettis 'La Favorita' und 'Il diluvio universale'. Von Bellini machte 'Il Pirata' Furore und eben das Paradestück schlechthin: 'Norma' in einer Produktion des Italieners Nicola Berloffa.
2016 war Premiere, danach ging die Inszenierung auf Tour nach Nizza und Rennes. Nun ist sie zurück in St. Gallen, wiederum mit Yolanda Auyanet in der Titelrolle. Diesmal steht Michael Balke am Pult des Sinfonieorchesters St. Gallen. Es ist ein optisch ansprechender Abend: Die Handlung wurde vom Regisseur verlegt in die 1830er-Jahre, also die Entstehungszeit der Oper, die an der Mailänder Scala in Premiere ging. Statt Druiden im Kampf gegen die römischen Besatzer sieht man Italiener der Risorgimento-Ära in schicken Biedermeierkostümen (ein bisschen wie 'Il Gattopardo'), die in einer malerisch verfallenen Ruine stehen und singen und singen und stehen. Ein Kampf gegen irgendwen ist nicht auszumachen. Weswegen ich mich fragte, wozu diese Handlungsverlegung eigentlich gut sein soll? Man könnte das Update ‚museal‘ nennen – ganz sicher im Vergleich zu der reichlich Action-geladenen Urfassung.
Verzicht auf Dramatik
Der Regisseur verzichtet auf wirklich jede (!) Gelegenheit, die das Libretto für dramatische Momente bietet: Der Scheiterhaufen am Ende ist beispielsweise weg, auf den Norma und Pollione im Finale schreiten. Sogar aus den Übertiteln ist der Scheiterhaufen gestrichen, vermutlich damit das Publikum nicht merkt, was da alles umgestellt wurde und dass ihnen ein Flammentod entgeht. Die existenzialistischen Momente des Kindesmordes und der Verzweiflung mutieren derweil fast zur Lachnummer, weil die beiden Kinder auf dem Boden herumrobben und sich unterm Bett verstecken, was mitten in Normas großer Soloszene für einige Erheiterung im Saal sorgt. Also genau das Gegenteil von dem, was 'Norma' eigentlich auslösen sollte. Und ob Pollione mit Flavio Österreicher sein sollen, die die Italiener unterdrücken, wird auch nicht klar.
Aber: Das Ganze sieht hübsch aus, und darauf scheint es den Eidgenossen primär anzukommen. Das Ganze klingt auch gut. Und darauf kommt es bei einer Belcanto-Oper letztlich an. Yolanda Auyanet hat eine lyrische Stimme, die warm und weich über die Gesangslinien gleitet und auf der Bühne eine attraktive Mütterlichkeit verströmt. Die dramatischen Ausbrüche im ersten Finale wirken eher verschreckt, nicht organischer Teil der Rolle zu sein. Aber Auyanet macht ihre Sache sehr gut, verbindet Koloraturen mit langen Legatolinien. Und sie spielt einnehmend, soweit das in dieser Regie möglich ist. Für ‚Casta diva‘ fehlt ihr allerdings die Magie, und der Trancezustand völliger Verzückung stellt sich nur begrenzt ein. Das gilt auch für den Schluss der Oper, wo Dirigent Michael Balke das langsame Anschwellen der Musik und das überwältigende Entladen des Klanges ziemlich nüchtern abwickelt. Aber das passt zur Regie, die ja auch auf Überwältigung verzichtet.
Marina De Liso ist eine Adalgisa, die vom Renaissance- und Barockgesang kommt. Ich fand sie eine interessante und stimmlich elegante Besetzung, die in den Duetten mit Norma perfekt harmoniert. Sergey Skorokhodov als Pollione bietet kraftvolle Tenortöne, bleibt aber in dieser Produktion rätselhaft als Figur. Wieso befummelt er Norma im ersten Finale, wenn Adalgisa direkt daneben steht – also die Frau, für die er Norma verlassen will? Und wieso lässt Norma das zu, wenn die ihn genau in dem Moment verflucht? Ob solche Details klarer werden, wenn Derek Taylor die Rolle als Zweitbesetzung übernimmt, wage ich zu bezweifeln. Maxim Kuzmin-Karavae ist ein hoheitsvoller Oroveso, der hier mit dem Herrenchor aber auch ein bisschen unbeholfen in den Ruinen rumsteht. Dass es laut Handlung um einen spannenden Kampf gegen das Imperium geht – vergleichbar mit 'Star Wars' – muss man wissen, zu sehen ist es nicht.
Trotz allem: ein musikalisch erfreulicher Abend, dem etwas Star-Power fehlt, der aber von großer Liebe zum Belcanto getragen ist, auch von Seiten des Publikums. Dass dieses sich in St. Gallen für ein Repertoire erwärmt, das anderswo von Wagner und noch mehr Wagner verdrängt wurde, ist die eigentliche Offenbarung. Man darf gespannt sein, welche Belcanto-Rarität Operndirektor Peter Heilker als nächstes aufbieten wird. Im Sommer läuft jedenfalls erstmals 'Il Trovatore' bei den Festspielen.
Kritik von Dr. Kevin Clarke
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Norma: Wiederaufnahme von Bellinis Oper
Ort: Theater,
Werke von: Vincenzo Bellini
Mitwirkende: Michael Balke (Dirigent), Sinfonieorchester St. Gallen (Orchester), Sergej Skorokodow (Solist Gesang)
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