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Francesco Demuro, Stuart Skelton, Sonya Yoncheva, © Lucie Jansch
Verdis 'Otello' eröffnet Osterfestspiele Baden-Baden
Desdemona zwischen Dunkelmännern
Der Bilder sind viele in Jagos Intrige gegen den irren Otello bei Shakespeare und Verdi, dessen gleichnamige Oper um den ‚Löwen von Venedig‘ Robert Wilson jetzt merkwürdigerweise ausgerechnet mit einem sterbenden Elefanten zum Start der Baden-Badener Osterfestspiele einleitete. Das siebenköpfige Regieteam des am Ende vom Festspielhaus-Publikum ausgebuhten großen amerikanischen Theatermannes Wilson spart auch sonst nicht mit vielerlei Requisiten, die zumeist in den vorwiegend blauen Bühnenhimmel eingehängt werden: Venedigs imperiale Großmacht ist darin mit elegant-schmalen Säulenstücken, Schwertern, Treppen, Torbögen und der Weltkugel symbolisiert. Die schwarzen, meist statisch davor positionierten Akteure sind in Shakespeares elisabethanisch-renaissancenahem Look mit Halskrausen und kurzen Pluderhosen staffiert. Nur Opfer Desdemona, die ungebrochen intensiv durchschlagende Bulgarin Sonya Yoncheva, kommt in Weiß mit russisch aufgelegten Haarzöpfen.
Fast ohne Personenführung
Die Musiktragödie spielt sich unter dem unaufgeregt die dennoch wuchtig aufspielenden Berliner Philharmoniker leitenden Zubin Mehta fast ohne Personenführung ab. Die Akteure bewegt Wilson kaum. Mitunter gerinnen ihre wenigen Aktionen in starre, drohende oder kämpferische Standfiguren des japanischen Nō: Schattenboxen ohne Degen und Säbel. Die ergiebig gesungenen Huldigungs- und Volks-Chöre von Philharmonia Wien (Walter Zeh) und Baden-Badener Kindern (Uwe Serr, Anja Schlenker-Rapke) bleiben in breiter Front hinten aufgestellt. Die Solisten werden meist an der Rampe postiert. Auch am Licht spart Wilsons Equipe: Dreivierteldunkel ist die überwiegende Lichtstärke, so dass man die gerade singenden, schwarzen Akteure kaum ausmachen kann. Rot und Grün leuchten nur einmal kurz im dritten Akt zu Otellos Verfluchungen und Niederzwingung Desdemonas auf. Sonst bleibt die Arme die einzig Helle zwischen lauter Dunkelmännern.
Dennoch sagt Wilsons 'Otello'-Inszenierung bei all ihrer Sparsamkeit und Bewegungsarmut etwas aus: Treppenbilder führen abwärts, im zweiten Akt treiben fünfmal eingeschobene Säulengänge den Titelhelden immer weiter in die Enge. Die anfängliche Sturmszene ist mit angehaltenen Dauerblitzen dekoriert. Im dritten Akt steht eine venezianische Säule Kopf. Desdemonas Hochzeitskleid ist im tragischen Schlussbild als weißer Lichtstreifen angezeigt. Wilsons Minimalismus – wiewohl nicht aus einem Guss – will Konzentration auf Wort und Musik.
Das Hören lohnt sich für das aufmerksam mitgehende Baden-Badener Festspielpublikum denn auch wahrlich. Dirigentenlegende Zubin Mehta bringt zwar äußerlich nicht mehr die an ihm gewohnte Brisanz von einst auf. Er sorgt aber bei den Berliner Philharmonikern für ausladenden Klang und krachende Effekte. Führt sicher, griffig und impulsreich. Trompetenstöße fahren knatternd drein, Otellos und Jagos Racheduett gelingt im profilierten Marschgestus; und die Liebesszene am Ende des ersten Aktes wird mit edler Sonorität begleitet. Die Ensembles der Doppelpaare Otello-Desdemona und Jago-Emilia werden von Mehta sicher geführt.
Kraftvolle Ausbrüche
Sonya Yoncheva muss als Desdemona anfänglich nicht ganz ausgeglichen forcieren und erzeugt Schärfen. Doch dann erreicht sie gelöst eine leuchtende Linienführung. Gewinnt energische Kraft und ersteigt mit locker schwingendem Vibrato exquisite Höhen. 'Lied vom Weidenbaum' und 'Ave Maria' gelingen der Bulgarin geschmeidig flehend in konzentrierter Reinheit und voller Ebenmaß. Auch der Otello des Australiers Stuart Skelton singt sich nach beginnenden Intonationsproblemen und der Unart, Töne von unten anzusingen, mit seinem nimmermüden tenoralen Material frei zu flüssiger Stabilität und kraftvollen Ausbrüchen.
Eine breite Tonpalette begeistert beim Jago des Bulgaren Vladimir Stojanov. Seine tiefe Sonorität ist ebenso klangvoll wie vielseitig: Er verfügt über den leicht erzählenden, baritonalen Kavaliers-Ton für die Konversation, die aufgesetzte lyrische Freundlichkeit für die Verführung und auch für die berstende Schwärze, um im Bosheitsmonolog in seine dunkle Seele blicken zu lassen. Den Cassio gibt der Italiener Francesco Demuro mit gut konturierter, schlanker Tenorkraft. Voll erregter Deutlichkeit singt Anna Malavasi die Emila. Stabil agiert Gregory Bonfattis Rodrigo, leicht brüchig dagegen Federico Sacchis Lodovico. Am Ende viel Beifall für Zubin Mehta, die Sängerschar, das Festspielorchester der Philharmoniker aus Berlin und die Chöre aus Wien und Baden-Baden, eine geteilte Reaktion gegenüber Wilsons Regieteam.
Kritik von Prof. Kurt Witterstätter
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Otello: Berliner Phiharmoniker
Ort: Festspielhaus,
Werke von: Giuseppe Verdi
Mitwirkende: Zubin Mehta (Dirigent), Robert Wilson (Inszenierung), Berliner Philharmoniker (Orchester), Stuart Skelton (Solist Gesang)
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