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Samstag, 9. Dezember 2023

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Szenenfoto, Copyright: Christian POGO Zach

Szenenfoto, © Christian POGO Zach

Konwitschny inszeniert 'Der tapfere Soldat'

Komm, komm, Held meiner Träume

Ja, ich wollte schon immer mal die Oscar Straus‘ Operette 'Der tapfere Soldat' auf der Bühne erleben, jenes Werk, das auf G. B. Shaws Antikriegssatire 'Helden' ('Arms and the Man') basiert, das bei der Uraufführung 1908 in Wien und direkt danach in Berlin und Budapest nur einen Achtungserfolg erzielen konnte, aber am Broadway und Londoner West-End zum Riesenhit mutierte: als 'The Chocolate Soldier'. Mehrere Hollywood-Verfilmungen und tausende Aufnahmen des Haupthits 'My Hero' ('Komm, komm, Held meiner Träume') folgten. Bis heute ist der ‚Schokoladensoldat‘ eine der bekanntesten Operetten der anglo-amerikanischen Welt. Und bei uns kennt keiner das Stück über einen Schweizer Deserteur namens Bumerli, der lieber vorm Feind flüchtet, als auf dem Schlachtfeld zu sterben, und dabei im Schlafzimmer von Soldatenbraut Nadina landet?

Am Gärtnerplatztheater München hat der Intendant-mit-der-Baseballkappe Josef E. Köpplinger dieses Oscar-Straus-Werk nun auf den Spielplan seines frisch renovierten und wiedereröffneten Hauses gesetzt, und er konnte für die Produktion niemand Geringeren als Peter Konwitschny als Regisseur gewinnen. Der betont zwar gern, wie sehr ihm Operette am Herzen liegt, aber seit seinem 'Csardasfürstin'-Skandal an der Semperoper 1999/2000 wird er eher selten für entsprechende Inszenierungen angefragt. Ich gestehe, dass ich Konwitschnys 'Csardasfürstin' mit den grotesk-tanzenden Weltkriegsleichen imposant fand, ebenso seine Inszenierung von 'Land des Lächelns' an der Komischen Oper Berlin, mit einem neuen Schluss, bei dem das unglückliche Lehár-Ende dadurch noch unglücklicher wurde, dass sich die Hauptdarsteller erschossen. Das hatte in Dresden und Berlin jeweils etwas Verstörendes, zum Nachdenken Anregendes und stark Nachwirkendes. Womit meine Neugierde auf die Münchner Produktion geweckt war, von der ich in den Medien nach der Premiere nur Positives vernahm.

Die neuen Operettenhelden

Sollte dem Gärnterplatztheater also endlich eine wegweisende Neuproduktion gelungen sein, die wegkommt vom uninspirierten Traditionsbegriff, der bislang dort gepflegt wurde und der in Kontrast zum Operetten-Revival anderswo steht, etwa am Gorki Theater oder der Komischen Oper oder dem Tipi am Kanzleramt in Berlin? Zugegebenermaßen war ich skeptisch, besonders weil die Besetzung mit Daniel Prohaska als Bumerli weitgehend dem entspricht, was ich bisher aus Köpplingers Amtszeit mitbekommen hatte: (Opern-)Stimmen, die in einer Fernsehoperettenästhetik der 1970er-Jahre gefangen sind, minus den schrägen Trash-Faktor von einst. Aber: Da tauchte auf den Fotos ein neuer Darsteller namens Maximilian Mayer auf als Kriegsheld Alexius, der mich doch überzeugte nach München zu fliegen. Denn Maximilian Mayer ist jemand, der aus dem Musicalbereich kommt und auf den Bildern so umwerfend aussieht, als könne er es mit aktuellen neuen Operettenhelden wie Jonas Dassler, Max Hopp, Tobias Bonn oder Uli Scherbel aufnehmen, von Alen Hodzovic und Nicky Wuchinger ganz zu schweigen. Also kaufte ich mir ein Flugticket und machte mich erwartungsfroh auf den Weg nach Bayern.

Die erste Überraschung: Das Theater wirkte leer, während direkt vorm Gärtnerplatz auf der bunt bepflanzten Mittelinsel das jugendliche Leben der Stadt tobte, mit Picknick, Aperol, Eiscreme usw. Als der erste Akt vorbei war und sich eine ziemlich gähnende Langeweile verbreitet hatte, verstand ich die nichtbesetzten Sitzplätze besser. Konwitschny hat sich von Johannes Leiacker eine weitgehend leere gelbe Bühne bauen lassen, mit einem zentralen Bett als Ort des Geschehens, der jeglicher Schauwert fehlt. Gleichwohl wirkt die Bühne an sich stylisch und attraktiv.

Raumgreifende Persönlichkeiten

Um in einer solchen Leere das satirische Kammerspiel um den nächtlichen Besuchs des Deserteurs Bumerli spannend rüberzubringen, braucht man Darsteller/innen, die die Bühne mit Leben füllen. Zur Erinnerung: Auch Dagmar Manzel in Barrie Koskys Straus-Inszenerierung 'Die Perlen der Cleopatra' steht oft auf einer leeren Bühne, aber sie erfüllt diese mit so viel Persönlichkeit, dass es überwältigend ist. Die drei Straus-Heldinnen in München – Sophie Mittenhuber als Adina, Ann-Katrin Naidu als ihre Mutter Aurelia Popoff und Jasmira Sakr als Dienstmädchen Mascha – sehen zwar attraktiv aus, aber als raumgreifende Persönlichkeiten fallen sie nicht auf. Sie stehen da wie typische Opernsängerinnen, spielen wie typische Opernsängerinnen, und vermitteln nichts vom erotischen Kick, der sich ergeben müsste, wenn alle drei lamentieren 'Ohne Männer hat das Leben keinen Sinn' – um sich im nächsten Moment auf Bumerli zu stürzen. Da ist kein Kribbeln und Knistern zu spüren, da ist eigentlich überhaupt nichts zu spüren. Wie das funktionieren müsste, sieht man in der Oscar-Straus-Verfilmung vom 'Walzertraum', wo in 'The Smiling Lieutenant' Claudette Colbert der verdutzen Miriam Hopkins erklärt: 'Jazz Up Your Lingerie. Der Song wurde von Straus 1931 für Ernst Lubitsch nachkomponiert und zeigt, dass Straus/Lubitsch in Sachen Operette weit moderner dachten als Konwitschny/Köpplinger. Es ist auch weit komischer!

Dazu kommt in München: Es ist fast nichts zu verstehen. Alle Sänger werden verstärkt mit Mikroports, obwohl alle bis auf Maximilian Mayer aus dem Opernfach kommen und keine Verstärkung brauchen. Gleichzeitig nutzt kein Solist die Mikroports für eine besonders textdeutliche Gestaltung; stattdessen werden die Mikros missbraucht für eine simple Lautstärkeverstärkung, die noch dazu über die Sound-Anlage des Hauses unangenehm metallisch wirkt. Ich gestehe, dass ich das peinlich fand, auch die überwältigende Gleichgültigkeit gegenüber dem Textbuch von Rudolf Bernauer und Leopold Jacobson und gegenüber der Handlung.

Bulgaren gegen Serben

Die Geschichte handelt wie bei G. B. Shaw davon, dass die Bulgaren in den Krieg gegen die Serben ziehen. Der Schweizer Bumerli schließt sich als Waffenlieferant den Serben an, hat aber einen Ekel vorm Gefecht. Als es ernst wird, flieht er. Er versteckt sich bei der Bulgarin Nadina im Boudoir, das dann von einem bulgarischen Trupp durchsucht wird, die dem Flüchtenden auf der Spur ist. Bumerli bleibt unentdeckt, weil die drei Damen (Mutter, Tochter, Dienstmädchen) mithelfen, ihn zu verstecken. Er schläft im Finale 1 erschöpft ein, während die Frauen ihm jeweils einen Liebesbeweis in den Hausmantel von Oberst Kasimir Popoff stecken, in dem Bumerli am nächsten Tag unbemerkt fliehen kann. In Akt 2 kehrt Oberst Popoff mit seinem Schwiegersohn in spe, Alexius, zurück aus der Schlacht. Was die beiden ihren Frauen/Töchtern vom Kampf gegen die Serben erzählen, steht im Gegensatz zu dem, was Bumerli erzählt hat. Nadina fängt an, das Heldentum ihres Verlobten zu hinterfragen. Und als Bumerli ebenfalls auftaucht, fliegt die ganze Geschichte auf. Alexius bläst die Hochzeit ab, Nadina ist kompromittiert, aber Alexius los. Und im dritten Akt finden dann alle nach einigen amüsanten Wirren zu einem Happy End, in dem Alexius sich mit dem Dienstmädchen tröstet, Nadina den Mann-mit-den-Schweizer-Schokoladenpatronen heiratet und der irrsinnige Krieg ein Ende findet – weil die Bulgaren nun einen eigenen Munitionslieferanten in der Familie haben.

Die mit Trommelwirbeln und Märschen durchzogene Musik von Oscar Straus braucht Kontrastwirkung, um ihren Witz voll zu entfalten: sie pendelt zwischen ausladenden Walzern und kessen Chansons, aberwitzigen Familienensembles und spöttischen Liebesduetten hin und her. Unter Leitung von Kiril Stankow war von musikalischen Kontrasten in dieser Produktion allerdings wenig zu bemerken. (Die Premiere hatte GMD Anthony Bramali dirigiert.) Auch stimmlich war alles viel zu homogen: Hans Gröning als Popoff und Alexander Franzen als Hauptmann Massakroff waren genauso austauschbar wie Mittelhuber als Nadina und Sakr als Mascha. Als lüsterne Mutter steckt in der Rolle der Aurelia mehr Potenzial als das, was Naidu aufzubieten hatte. Und Daniel Prohaska als Bumerli ist zwar rundum akzeptabel, aber kein Operettenheld wie Maurice Chevalier (als Smiling Lieutenant), der aus jeder Liedzeile etwas Doppeldeutiges herauskitzelt, oder der überhaupt mit der Musik spielt.

‚Langfristige Wirkung‘

Im zweiten Akt riss der Auftritt von Maximilian Mayer das Geschehen immer wieder aus der allumfassenden Langeweile heraus, weil er als einziger Bühnenpräsenz entwickelte und wirklich ‚spielte‘, während die anderen nur rumstanden und brav sangen. Aber ein vorzüglicher Alexius rettet nicht die Aufführung, wenn das Hauptpaar aneinander vorbeispielt.

Ich hatte mich nach dem Finale 2 damit abgefunden, dass das einfach eine weitere Durchschnittsinszenierung am Gärtnerplatz sei, als sich der dritte Akt dann zum echten Ärgernis auswuchs. Zur Langeweile kam eine völlige Dekonstruktion, wo alle Beteiligten als kaputte Figuren im Krankenlager seltsame Dinge mit Medikamenten, Erste-Hilfe-Verbänden und Morphium-im-Tropf tun. Das endet damit, dass Nadina abgeht, Bumerli aufzählt, welche Waffenfabriken er in der Schweiz besitzt, eine Bombe einschlägt und der Abend mit sieben Figuren auf der Suche nach einem Stück (unbefriedigend) endet. Da kann Konwitschny im Programmheft noch so ausführlich erzählen, dass ‚grundsätzlich alles erlaubt‘ sei in einer Operette, auch das ‚Weglassen des Happy End‘: weil das ‚politisch wichtiger‘ sei und eine ‚langfristigere Wirkung‘ entfalte.

Damit 'Der tapfere Soldat' langfristig oder kurzfristig wirken kann, muss schon mehr passieren als das, was das Gärtnerplatztheater hier bietet. Das fängt mit der Besetzung an und geht mit einer einfallslosen Regie weiter. Wer sich daran erinnert, was Christian Weise mit seinem Spoliansky-Abend 'Alles Schwindel' alles an Slapstick und Ideenreichtum auffährt, um Operette heute erfahrbar und relevant zu machen, was Barrie Kosky mit seinen beiden Oscar-Straus-Produktionen alles tut, um die Nuancen des Textbuchs zu maximaler Wirkung zu bringen, was Bernd Mottl für ein Feuerwerk an Trash-Momenten auffährt, der muss sich fragen, ob diese Konwitschny-Produktion nicht genauso aus der Zeit gefallen ist wie das Traditionskonzept, dem Köpplinger huldigt. Ich bin durchaus ein Fan von Tradition(en), aber sie sind keine Entschuldigung für mangelnde Inspiration und fehlenden Wagemut.

Ärger und Hoffnungsschimmer

Ja, ich habe mich geärgert, dass ich dafür nach München geflogen bin. Ich fand es auch bestürzend, dass in Zeiten von Krieg und Flüchtlingsströmen einem Regisseur zum 'Tapferen Soldaten' nicht mehr eingefallen ist. Ich war auch verblüfft, dass man mit einer Sound-Anlage derart uninspiriert umgehen kann, statt eine aus der Sprache gestaltete Neuinterpretation von Strauss/Bernauer/Jacobson zu kreieren. Und ja, Maximilian Mayer ist ein Hoffnungsschimmer am Bayrischen Operettenhimmel. Trotzdem zeugen die vielen leeren Sitzplätze an einem Freitagabend davon, dass Mayer alleine keine Produktion retten kann. Das Belangreichste an dem Abend war, dass das Gärtnerplatztheater überhaupt wieder den 'Tapferen Soldaten' auf den Spielplan genommen hat. Das Stück lohnt die Bekanntschaft. Aber solange die jungen Menschen lieber vorm Theater auf der Wiese liegen statt ins Theater zu gehen, um Operette zu sehen, läuft in München etwas arg falsch.

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Kritik von Dr. Kevin Clarke

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Oscar Straus: Der tapfere Soldat: Eine Peter-Konwitschny-Produktion

Ort: Staatstheater am Gärtnerplatz,

Werke von: Oscar Straus

Mitwirkende: Peter Konwitschny (Regie)

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