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Minetti Quartett, Alois Lageder, © John McDermott
Das Minetti Quartett im Weingut Alois Lageder
Ein Abend voll Feuer und Leidenschaft
Ein lauer Sommerabend in Südtirol. Dazu kulinarische Genüsse vom Feinsten und ein Konzerthighlight des international renommierten Wiener Minetti Quartetts: Das erwartete die zahlreichen Gäste und Freunde der 2018er-Ausgabe des mittlerweile seit 10 Jahren im Weingut Alois Lageder (Margreid/Südtirol) stattfindenden Musikprojekts VIN-o-TON. Aber hier wird nicht nur einfach Klassik oder Romantik in bezauberndem historischem Ambiente (Casòn Hirschprunn, im Kern romanischer Ursprung aus dem 13. Jahrhundert) neu aufgegossen, sondern auch die zeitgenössische Kammermusik gepflegt, was dem Konzertabend seinen speziellen innovativen Reiz verlieh. Edmund Finnis (*1984), der junge Kompositionsprofessor an der Royal Academy of Music London, war in diesem Jahr Artist in Residence. Er schrieb als Auftragswerk für Alois Lageder und Veronika Riz das Streichquartett 'Aloysius', welches an diesem Abend uraufgeführt wurde: ein zartes, fünfsätziges Werk voller Poesie.
Nach einem gelungenen Einführungsgespräch, bei dem der Komponist mit zwei der Interpreten und dem Musikwissenschaftler Anselm Cybinski vom Münchner Kammerorchester die Tiefen der neuen Komposition auslotete, begann das Konzert impressionistisch mit Claude Debussys Streichquartett g-Moll op.10. Als Interpreten geladen war das österreichische Minetti Quartett. Der Name des vor 15 Jahren in Wien gegründeten Ensembles bezieht sich auf das Theaterstück 'Minetti', ein Schauspiel des Schriftstellers Thomas Bernhard, der lange Zeit in Ohlsdorf, dem Geburtsort der beiden Geigerinnen, wohnte. Allerdings trat das Quartett an diesem Abend ohne seine Primaria Maria Ehmer an, die derzeit eine Babypause macht. Sie wurde von Bojidara Kouzmanova-Vladàr (Violine I) würdig vertreten. An der zweiten Violine spielt Anna Knopp, Milan Milojicic an der Viola und Leonhard Roczek am Violoncello, dessen Vater Paul Roczek einer der führenden Violinprofessoren weltweit ist. Das Quartett feierte bereits früh Erfolge und trat in bedeutenden Konzerthallen in London (Wigmoore), Berlin (Philharmonie), Wien (Musikverein), Amsterdam (Concertgebow) und Baden Baden (Festspielhaus) auf. 2018 kam die neue CD – die fünfte bisher – beim Label HÄNSSLER Classic mit Mendelssohns op. 80 und Schuberts Streichquartett 'Der Tod und das Mädchen' heraus.
Direkte Tonansprache
Bei Debussy wartete das Minetti Quartett gleich von Beginn an mit direkter Tonansprache auf. Die Akustik im Gewölbe der Casòn Hirschprunn unterstützte da mächtig, und so hatten die rund 120 Zuhörer auf allen Plätzen ein hervorragend präsentes Hörerlebnis. Süffiger Klang und Verdeutlichung der verdichteten Textur waren die Stärken des Ensembles, das lediglich die Dynamik im Piano-Bereich noch weiter ausbauen darf, zumindest in diesem Raum. Auch der zweite Satz ('Assez vif et bien rythmé') lieferte ein berauschendes Fluidum. Technisch zeigte das Quartett hier höchste Sicherheit. Insbesondere das Violoncello gefiel mit solider Führung in der wichtigen Basslinie. Der dritte Satz ließ die wohldosierte Balance der vier Stimmen erkennen. Auch der ästhetische Klang setzte hier Maßstäbe. Solistische Einwürfe wie beispielsweise von der Viola zeitigten die Lebendigkeit: Da wehte plötzlich ein Hauch von Freiheit durch das Steingewölbe. Andererseits gab es auch großen Ernst im Spiel des Minetti Quartetts, zum Beispiel in den gemeinsamen in Oktaven geführten Unisonolinien von Violine 1 und Viola. Da wurde erkennbar, über welch hohe Einfühlsamkeit das Quartett verfügt. Ein Klangschmelz wie aus ferner Welt regte da zum Träumen an. Der vierte Satz ('Trés modéré – Trés mouvementé et avec passion') griff zu Beginn noch einmal die Haltung des dritten Satzes auf, ehe ein Fugato geschäftige Betriebsamkeit anzettelte. Bojidara Kouzmanova-Vladàr bemühte sich mit solistischem Vibrato um beste Klangergebnisse, was allerdings nicht immer völlig zur Philosophie des restlichen Quartetts zu passen schien. Dennoch war das ein starker Antritt mit Debussy.
Uraufführung des Streichquartetts 'Aloysius'
Vor der Pause erlebten die Hörer die Uraufführung von Edmund Finnis Streichquartett 'Aloysius'. Ein Werk von etwa 15 Minuten, gleichmäßig verteilt auf alle Sätze. Warum Finnis allerdings die formale Expansion auf fünf (!) Sätze wählte, blieb undeutlich. Vielleicht mag er das unrhythmische Satzgefüge genauso herb wie ein Audi-Fünfzylinder-Motorengeräusch? Fakt ist der eher verhaltene, nahezu vorsichtig-ertastende Charakter seiner Musik, die mit filigranen Flageolett-Klängen anhob. Weiche, harmonische Klangfortschreitungen erinnerten hier und da an Arvo Pärts Kompositionen. Der Eindruck setzte sich im zweiten Satz fort. Als ‚Wogende Klänge‘ beschreibt Mateo Taibon im ausgezeichneten Programmheft die Quartettmusik des Engländers, der seine Musik vom Zuschauerraum verfolgte und anschließend herzlich beklatscht wurde. Er hatte zuvor mit den Künstlern des Minetti Quartetts sein Werk einstudiert. Also auch hier einfache harmonische Strukturen, Sekundreibungen, atmosphärische Klänge im ersten Quartett des Komponisten. Es ist weniger die Sinnlichkeit, die hier zitiert wurde, als die pastellartige Farbmalerei, die diese Musik zum Erlebnis werden lässt. Vorbilder sind in Anton Webern oder auch Alban Berg zu suchen, nur waren diese wohl radikaler, kompromissloser. Im vierten Teil verarbeitet Finnis einen Kanon des englischen Renaissance-Meisters William Byrd. Insofern schloss die Musik den Kreis der Musikgeschichte. Der fünfte Satz brachte noch einmal eine Conclusio, dazu tolle Effekte: zum Beispiel wie Vögel zirpende Geigen, dazu lyrische Sequenzen. Allerdings verblüffte die Kürze des Finales, dessen abruptes Ende die Hörer erstaunt aufhorchen ließ.
Mendelssohns letztes Streichquartett f-Moll op. 80 – eine Art Requiem – entstand zwei Monate vor seinem Tod. Es ist die Reaktion des Komponisten auf den plötzlichen Tod seiner geliebten Schwester Fanny im Mai 1847. Im Kopfsatz ('Allegro vivace assai – Presto') entfachte das Minetti Quartett denn auch sogleich jenes Feuer, das dieser Musik innewohnt. Feine Akzente wurden wie Nadelstiche gesetzt und waren auch charakteristisch für den Fortgang. Überhaupt erschien der Klang der vier hier in selten erlebbarer Sonorität und Rundheit. Im Allegro assai, dem zweiten Satz, entfalteten die Musiker einen Sturm der Leidenschaften, im Adagio beruhigte sich die Szenerie wieder zu einer bezaubernden Traumwelt. Überhaupt sind die meditativen Momente des Abends das Steckenpferd des Minetti Quartetts, das hier mit zahlreichen Soli wie beispielsweise Anna Knopps in der zweiten Geige beglückte. Im Finale brauste die Musik noch einmal mit hoher Virtuosität davon. Eine Meisterleistung an diesem Abend, für die die Künstler sich nach reichlich Applaus mit der Canzonetta aus Mendelssohns op. 12 bedankten. Ein sympathisches Quartett.
Die nächste Ausgabe von VIN-o-TON findet am 22. Februar 2019 im Weingut Alois Lageder in Margreid/ Magrè statt. Composer in Residence ist dann Eduard Demetz aus Bozen. Als Künstler geladen sind der italienische Opern- und Liedsänger Andrè Schuen (Bariton) aus Wengen/ La Val und der Pianist Daniel Heide (Weimar).
Kritik von Manuel Stangorra
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VIN-o-TON: Ein Konzertabend im Weingut Lageder
Ort: Weingut Alois Lageder,
Werke von: Claude Debussy, Felix Mendelssohn Bartholdy
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