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Montag, 2. Oktober 2023

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Ksenia Ryzhkova, Matthew Golding, Ensemble, Copyright: Wilfried Hösl

Ksenia Ryzhkova, Matthew Golding, Ensemble, © Wilfried Hösl

'Anna Karenina' als Ballett

Ideale Mischung

Nicht zum ersten Mal hat sich Christian Spuck mit einer getanzten Darstellung des Tolstoi-Klassikers 'Anna Karenina' auseinandergesetzt. Schon vor drei Jahren in Zürich griff er diesen literarischen Stoff für die Bühne auf – seinerzeit nicht mit durschlagendem Erfolg, weshalb er die damalige Fassung nochmals überarbeitete. Diesmal gelingt ihm die Adaption ungleich besser: Die Figuren sind auch in ihrer Vielzahl klar voneinander abgrenzbar, die ausschweifende Handlung ist in eine verständliche, komprimierte und Ballett-taugliche Form gegossen. Spucks Bilder beschränken sich auf eine insgesamt eher sparsame Ausstattung, markantestes durchgängiges Motiv sind am Bühnenrand gruppierte Birkenstämme. Aber auch farbenfrohe, in stilsicher ausgewählten Kostümen ausgestattete Formationen sind gegenüber dem in tristem Grau dargestellten Alltag des industrialisierten Russland immer wieder zu finden. Angereichert wird die Szenerie durch vereinzelte, von ihrem Eigengewicht her gut dosierte und das Geschehen sinnfällig untermalende Klang- und Videoinstallationen. Sowohl klassische als auch moderne Aspekte finden in der tänzerischen Choreographie Platz – alles in allem eine gelungene, multidimensionale und abwechslungsreiche Mischung.

Changierende Spannungsfelder

Musikalisch greift die Produktion auf Werke von Sergej Rachmaninow und Witold Lutoslawski (1913-1994) zurück – auch wenn dieser zu Lebzeiten ein erklärter Gegner des Balletts war. Die so aufeinanderprallenden Klangwelten erzeugen stilistisch gekonnt changierende Spannungsfelder, die keineswegs im unvereinbaren Widerspruch zueinander stehen, sondern sich schlüssig ergänzen. Weitere überzeugend umgesetzte Bereicherung: Die Verwendung kontrastierender musikalischer Genres: Zur tänzerischen Komponente treten etwa kurze (von Helena Zubanovich tonsicher) gesungene, opernhafte Elemente hinzu, eine tragende Rolle spielt auch der von Adrian Oetiker übernommene Klavierpart. Letzterer markiert einen der wenigen Schwachpunkte des Abends, den Akkordfolgen im Finalsatz von Rachmaninows c-Moll-Konzert op. 18 erweist er sich technisch als nichts gewachsen, auch lyrischen Passagen verleiht er zu wenig kantable Wärme.

Orchestrale Glanzleistung

Ksenia Ryzhkova (Titelrolle), Erik Murzagaliyev (Alexej Karenin) und Matthew Golding (Alexej Wronski) überzeugen allesamt durch ausdrucksvolle Körperspannung. Choreographisch und von der Personenführung her werden sowohl individuelle Emotionen und Befindlichkeiten (z.B. Annas Krankheitszustand) als auch kollektive Formationen (wie der Tanz der Landarbeiter) exzellent umgesetzt. Über hier und da fehlende Ungenauigkeiten in der Synchronität der Ensemble-Auftritte kann man da hinwegsehen. Robert Servenikas führt das Bayerische Staatsorchester zu einer glänzenden Leistung, die entscheidend zum Gesamtpaket beiträgt: Warm und voll timbrierte Streicher, markantes Blech und präzise Perkussion malen wahlweise spätromantisch sensible oder schroffe avantgardistische Farben, in Lutoslawskis teils fragilen, teils explosiven Klangregionen greifen die Stimmen bis ins Detail hörbar ineinander über.

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Kritik von Thomas Gehrig



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Anna Karenina: Ballett von Christian Spuck

Ort: Bayerische Staatsoper,

Werke von: Sergej Rachmaninoff, Witold Lutoslawski

Mitwirkende: Christian Spuck (Choreographie)

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