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Teodor Currentzis, © Konzertdirektion Rudolf Goette
MusicAeterna mit Mozart und Beethoven
Der unerhörte Currentzis
Man nehme einen Dirigenten mit exaltiertem Bühnenkörper und kombiniere eine der historisch informierten Aufführungspraxis zugehörige Klangästhetik mit einer romantisierenden Orchesterbesetzung. Schon hat man das Erfolgsrezept von Teodor Currentzis und seines Ensembles MusicAeterna. Bei Currentzis brennt sprichwörtlich der Scheitel: Schon ein einfaches Sforzato in den Streichern zu Beginn von Beethovens Sinfonie Nr. 7 in A-Dur lässt ihn in einer 180-Grad-Drehung den Arm schwingend ruckartig herumfahren. Er interagiert nicht nur gestisch mit den Musikern, sondern imitiert diese auch pantomimisch und bewegt sich dabei zu ihnen hin. Zugegeben: In Originalklang-Ensembles herrscht prinzipiell mehr Bewegungsfreiheit als bei einem gewöhnlichen Sinfonieorchester, und das ist auch gut so. Currentzis jedoch treibt es auf die Spitze, die Grenze zwischen Dirigent, Tänzer und Pantomimus verschwimmt. Hier scheiden sich die Geister: Für den einen ist es egomanisches Gehabe, das nur vor der Musik ablenkt, für den anderen setzt Currentzis bloß visuell das um, was in der Musik steckt. Eine Mischung aus beidem dürfte es am ehesten treffen. Ich persönlich musste zwischendurch die Augen schließen, um einfach nur die Musik wahrnehmen zu können.
Auf der anderen Seite aber macht Currentzis auf diese Weise auch auf Dinge in der Musik aufmerksam, die sonst womöglich unbemerkt blieben. Und die Musik gibt Currentzis und dem von ihm gegründeten Ensemble – das von der Größe her eher ein Kammerorchester ist – Recht. Rein klanglich erreichen Currentzis und MusicAeterna eine Brillanz, einen musikalischen Überschwang und Gestenreichtum, wie man ihr nur ganz selten hört. Unwillkürlich werden Assoziationen an die Mozart-Interpretationen etwa von René Jacobs geweckt, so lebendig und vor allem reich an Farben klingt dieser Beethoven. Currentzis jedoch greift trotz historischer Instrumente nicht nur auf die schlanke, federnde und kleinteilige Praxis des ‚Originalklangs‘ der Wiener Klassik und der Zeit davor zurück, sondern nutzt auch das dynamische Extremspektrum, wie es sich erst später im 19. Jahrhundert entwickelte. Gerade in den Ecksätzen der A-Dur Sinfonie mit ihrem monorhythmischen Stampfen hört man so nicht nur die Revolutionmusik der Napoleonischen Kriege, sondern auch einen Vorboten der industriellen Revolution. Vollends anachronistisch wird es dann, wenn der gleiche Ansatz nicht nur auf Beethoven, sondern auch auf Mozarts Ouvertüre zu 'Le nozze di Figaro' angewandt wird. Wer sich jedoch daran stört, ist selbst schuld, denn es klingt einfach großartig.
Dass selbst in der ultraklaren Akustik der Elbphilharmonie eine ausgewogene Balance zwischen Solist und Orchester keine Selbstverständlichkeit ist, wurde dagegen in Mozarts Klavierkonzert in G-Dur KV 543 deutlich. Ein ums andere Mal überdeckte das Orchester vor allem im ersten Satz Alexander Melnikovs feingliedriges, vom Topos der Klangrede geprägtes Spiel am Hammerklavier. Hier wäre etwas Zurückhaltung passender gewesen. Dass Currentzis und sein Ensemble dazu durchaus in der Lage sind, zeigten sie durch schönes Dialogisieren mit dem Solisten dann im Andante sowie im abschließenden Allegretto, in dem wirklich jedes einzige wunderhübsche Detail der melodisch-naiven Einschübe zum Vorschein gebracht wurde. Trotz fehlender Zugaben war das Publikum an diesem Abend aus dem Häuschen: Begeistertes Pfeifen, Johlen, Standing Ovations.
Kritik von Dr. Aron Sayed
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MusicaAeterna: Currentzis
Ort: Elbphilharmonie,
Werke von: Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven
Mitwirkende: Teodor Currentzis (Dirigent), MusicAeterna (Orchester), Alexander Melnikov (Solist Instr.)
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