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Sara Jakubiak als Heliane, © Monika Rittershaus
'Das Wunder der Heliane' in Berlin
Luxusstimmen im Rausch der Klangmassen
In einem Brief an seine Uraufführungssängerin Lotte Lehmann schreibt Korngold im September 1927: ‚Ich beschwöre dich, liebe Lotte, ängstige Dich nicht und lasse Dir nicht die Lust nehmen, wenn das Orchester … zu laut sein wird. Ich habe … durch unzählige, geringfügige Retuschen … erreicht, dass die Singstimmen durchwegs dominieren – sowohl in allen dramatischen sowie ganz besonders in allen lyrischen Pianostellen! … Bitte, sage dies auch unserem Freunde Piccaver, er soll unter keinen Umständen verzagen: es sind in der ganzen Oper kaum 10 Tenortakte, die das Orchester übertönen wird.‘
Solch beruhigende Worte an den Sopran und Tenor einer 'Wunder der Heliane'-Aufführung sind nicht ganz unbegründet, denn Korngold fährt für dieses mystisch überhöhte Stück – in dem sich eine Heilige einem Fremden hingibt und ihn dann später von den Toten auferweckt – den ganz großen Orchesterapparat auf. Und die Betonung liegt hier wirklich auf GANZ GROSS. In den Klangmassen kann ein Solist leicht untergehen.
An der Deutschen Oper Berlin sorgt Dirigent Marc Albrecht nicht eben dafür, dass dieses Mammutwerk mit seinem Hang zum Schwelgerischen und Exzessiven, zur klanglichen Ekstase und zum Sich-Verströmen irgendwie dynamisch zurückgenommen wird. Stattdessen lässt es Albrecht krachen, dass die Wände des riesigen DOB-Zuschauerraums wackeln, besonders in den Chorszenen (Einstudierung: Jeremy Bines) werden Lautstärkepegel überschritten, die man mit Extremmomenten von Wagner und Strauss assoziiert. Das macht Eindruck. Hat aber zur Folge, dass Sara Jakubiak als Titelheldin auf Lotte Lehmanns Spuren über ihre vokalen Grenzen gehen muss und die schöne lyrische Stimme in den Höhepunkten des Abends leicht schrill wird, statt sich opulent über die ‚retuschierten‘ Klangmassen zu erheben. (Sie müsste schon eine wiedergeborene Birgit Nilsson sein, um dieses Kunststück hier zu vollbringen.)
Trotzdem ist diese Korngold-Premiere an der Deutschen Oper Berlin ein Sängerfest. Mag sein, dass Sara Jakubiak als Heliane gegen Ende keine Kraft mehr hat gegen die entfachte Urgewalt des Orchesters anzuschreien, dafür schafft das ihr junger Partner Brian Jagde als ‚Fremder‘ mit einem explosiven Puccini-Tenor derart fulminant, dass ich fast wünschte, das Schlussduett könnte ewig weitergehen. Und weitergehen. Seit dem Hausdebüt von Richard Leech vor vielen Jahrzehnten (in den 'Hugenotten') habe ich an der DOB keinen solchen Tenor mehr gehört. Er singt demnächst Kalaf in San Francisco und Radames in Seattle; hoffentlich tut er das auch in Berlin.
Macht des Eros
Dass Regisseur Christof Loy und Kostümbildnerin Barbara Drosihn diesen amerikanischen Tenor in einen grauen Anzug gesteckt haben, in dem er wie ein Beamter aussieht und nicht wie ein die Welt mit der Macht des Eros erlösender Heiland, ist nicht die Schuld von Brian Jagde. Zumindest steht ihm ein Dreiteiler gut. Genauso wie Sara Jakubiak im weißen Brautkleid und später vollkommen nackt sehr gut aussieht.
Aber wer die beiden sind – also Heliane und der Fremde – und wo sie sich hier befinde sollen, wird in der Inszenierung und im Einheitsbühnenbild von Johannes Leiacker nicht deutlich. Das Ganze könnte ein holzgetäfelter Gerichtssaal sein, in dem die Zeit um 2.05/14.05 Uhr stehen geblieben ist. Es könnte alles in den 1930er oder 40er Jahren spielen, es könnte auch heute sein, wenn man die schwarzen Stretch-Pullover der männlichen Statisten betrachtet. Im Grunde ist das szenische Arrangement so, dass man auch einer konzertanten Aufführung bewohnen könnte, bei der vergessen wurde, die Bühne effektvoll oder wenigstens atmosphärisch auszuleuchten. Hier spielt der ganze Abend quasi bei Neonleuchten-Arbeitslicht von oben. Oder im Halbdunkeln. (Sind die Strahler der DOB nach dem Wasserschaden immernoch kaputt?)
Pseudo-mittelalterliches Mysterienspiel
Das Werk ist von der Handlung ein pseudo-mittelalterliches Mysterienspiel, durchaus im Stil der großen Stummfilme der Zwanziger-Jahre (Fritz Lang usw.). Es erzählt eine rätselhafte Geschichte von sexueller Befreiung: als Plädoyer für die Überwindung von christlicher Keuschheit, hin zu schuldfreier Lust. Man sollte nicht vergessen, dass die Zeit der Uraufführung 1927 die Zeit der ersten sexuellen Revolution war. Korngold und sein Librettist Hans Müller (Chefdramaturg der UFA) wussten genau, dass die Vorlage des österreichischen Dichters und Dramatikers Hans Kaltneker das Potenzial für einen Skandal enthielt mit seiner Verquickung von Erlösungstheologie und veritabler Erotik. (Kein Wunder, dass sich damals mancher erregt, die Oper würde ‚das Gefühl eines gläubigen Katholiken und überhaupt jedes christlich empfindenden Menschen verletzen‘, wie man im Programmheft nachlesen kann in einem großartigen Beitrag von Arne Stollberg.)
Von Mystik und Erlösung ist die Loy-Inszenierung weit entfernt, von Pseudo-Mittelalter auch. Eigentlich hat Loy zum Stück nichts zu sagen. Aber: Seine Inszenierung stört den Handlungsablauf nicht. Was ein Vorteil ist, da man sich als Zuschauer vollkommen auf die Musik konzentrieren kann. Und die ist überwältigend, wenn man solche XXL-Schinken mag. Ich mag sie sehr.
Neben der kühlen Vokalpracht von Sara Jakubiak und der ‚Tenor-Luxuslimousine in Silberkarosserie‘ (wie ein Kollege Brian Jagde beschrieb) glänzen auch alle Nebenrollendarsteller: Josef Wagner als markiger ‚Herrscher‘ mit machtvollen Baritontönen, vor allem aber Derek Welton als ‚Pförtner‘ und Okka von der Damerau als ‚Botin‘. Das sind alles große junge Stimmen, die hier groß zur Geltung kommen. Und man spürt am Schlussapplaus, wie dankbar das DOB-Publikum ist, solch eine Traumbesetzung erleben zu dürfen. Dazu gehört auch Burkhard Ulrich als gebrechlicher alter ‚blinder Schwertrichter‘.
Die Moment des titelgebenden Wunders – als Heliane den Fremden von den Toten erweckt – und die Verklärung am Schluss, als beide in den Himmel aufsteigen, hätte ich mir idealerweise anders vorgestellt, als nur zwei Solisten im Business-Outfit zu sehen (Heliane trägt inzwischen ein schwarzes Kleid). Und warum der Chor in Schwarz plötzlich tot zu Bode sinkt und liegen bleibt, während Heliane und der Fremde über sie hinwegsteigen, bleibt auch ein Loy-Geheimnis. Aber es ist ja schließlich eine Mysterien-Oper, bei der man nicht alles verstehen muss.
Entartete Musik
Verglichen mit der berühmten Decca-Aufnahme unter John Mauceri, die in der Reihe ‚Entartete Musik‘ damals das Stück wieder ins allgemeine Bewusstsein brachte, ist Marc Albrecht am Pult des DOB-Orchesters nicht an den zarten luxurierenden Klangeffekten Korngolds interessiert, sondern am Dauerforte. Das ermüdet oftmals. Dennoch spielt das Orchester hervorragend. Und vielleicht schaffen es Albrecht und Chordirektor Jeremy Bines ja noch in den Folgevorstellungen, den massiven Klang differenzierter (und leiser) zu gestalten. Die wunderbare 'Heliane' würde davon profitieren. Und der Sopran ebenfalls.
Es bleibt insgesamt eine der spannendsten und musikalische überzeugendsten Neuproduktionen an der DOB seit langem. Früher hat Ex-Intendantin Kirsten Harms öfter solche vergessenen Riesenwerke als Ausgrabung präsentiert. Sie saß jetzt in ihrem obligatorischen weißen Outfit durchaus demonstrativ im Parkett. Der tosende Applaus nach allen Akten mag ihr nachträglich Recht geben, dass es für solche Ausgrabungen ein Publikum gibt, das für Korngold auch von weither anreist. Ein großer Abend mit einem großen Werk!
Kritik von Dr. Kevin Clarke
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Das Wunder der Heliane: Nach 'Die Heilige' von Hans Kaltneker
Ort: Deutsche Oper,
Werke von: Erich Wolfgang Korngold
Mitwirkende: Marc Albrecht (Dirigent), Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester)
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