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Montag, 20. März 2023

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Ladislav Elgr als Piers de Gaveston, Copyright: Monika Rittershaus

Ladislav Elgr als Piers de Gaveston, © Monika Rittershaus

Uraufführung von 'Edward II' an der Deutsche Oper

Psychose der Intoleranz

Nach der deutschen Erstaufführung von 'Morgen und Abend' in der letzten Spielzeit  bleibt die Deutsche Oper dem Vorhaben treu, zeitgenössischen Werken Raum zu bieten. Für die diesjährige Uraufführung vertonte Andrea Lorenzo Scartazzini ein Libretto von Thomas Jonigk zu Edward II. Besonders interessant verhält es sich mit den Vorlagen: Christopher Marlowes Drama über den englischen König diente ebenso als Inspiration wie Ralph Honishes ‚Chronicles of England, Scotland and Ireland‘ aus dem 16. Jahrhundert und die lateinisch verfasste ‚Vita Edwardi Secundi‘, welche zeitgleich zu den realen Geschehnissen um 1326 entstand. Diese spannende Verbindung dramatischen wie historischen Stoffes inszenierte Erfolgsregisseur Christof Loy. Die Bühne gestaltete Annette Kurz als einen imposanten und akustisch durchdachten Kirchenraum, unterstützt von selten aufdringlichem Licht (Stefan Bollinger) und Kostümen (Klaus Bruns). Am Pult stand der dänische Dirigent Thomas Søndergård.

Ein Albtraum der Regenschaft

Langsam schiebt sich ein dissonantes Flirren aus dem Orchestergraben in den Saal. Ehe das subtil anbahnende Getöse verständlich werden kann, geht die Handlung in medias res. Eine Meute Männer überrascht König Edward im Schlafgemach und führt ihm Liebhaber Pier de Gaveston vor – in blutverschmiertem Brautkleid. Hämisch tönt der Männerchor mit Angstgegner Mortimer an der Spitze die bekannte Passage aus dem Korinther-Brief: ‚Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.‘ Die Eindringlinge kommen, den König mit seinem Geliebten zu vermählen. Nach dem geständnisgleich abgerungenen Jawort der beiden werden sie auseinandergezerrt und hinterrücks attackiert. Edward erwacht. Alles nur ein fürchterlicher Albtraum?

Demütigung und Spaltung

Es ist die Geschichte eines Außenseiters an der Spitze: Der homosexuelle König Edward II. regiert ein England, in dem nichts – außer vielleicht den Juden – so sehr geächtet und verachtet wird wie seinesgleichen. Vor versammelter Gemeinde hetzt Bischof Walter Langton gegen die ‚Sodomiten‘; das Schrecken einflößende Fortissimo des Chores an der Rampe mündet in ein repetiertes allmählich absterbendes Mantra: ‚Auslöschen, auslöschen, auslöschen...‘ Leichtsinnig stellt sich Edward trotz seiner vorausahnenden Traumvision gegen den Klerus, macht sich lustig und keinen großen Hehl aus seiner sexuellen Gesinnung. Auf der anderen Seite erlebt Königin Isabella fortwährende Ablehnung und Demütigung: ‚Fass mich nicht an. In meinem Schlafzimmer hast du nichts zu suchen.‘ Geplagt von der grausamen Diffamierung durch die gesellschaftliche Moral bemerkt der Monarch nicht das Maß der Verletzungen, die er der Gattin zufügt, und auch nicht ihre verräterische Abkehr hin zu Lord Mortimer. Inmitten dieser Intrigen steht der junge Prinz. Die historische Person wurde später als Edward III. mit 15 Jahren König, verbannte seine Mutter und ermordete Roger Mortimer.

Der weiche Witz und der harte Abgang

Von Librettist Jonigk jenseits der Vorlagen neu entworfen schlüpfen zwei Figuren das Stück hindurch in verschiedene Rollen. Loy deutet sie als ‚Stimme des Volkes‘ - ‚und die ist nicht immer die intelligenteste‘ (Programmheft: Regisseur Christof Loy im Gespräch). Das Dick-und-Doof-Duo bricht mit seinen Kommentaren das düstere Setting, mal als dümmliche Soldaten, mal als SM-Gefängniswärter. Bei den rauen Ereignissen bleibt einem jedoch schnell wieder das Lachen im Halse stecken. Markus Brück und Gideon Poppe präsentieren die dramaturgisch intelligent angelegten Figuren mit großem Einsatz karikaturesk und bissig. Auch der Chor hat bei jedem Auftritt etwas überzeichnet Comichaftes. Er tritt als entindividualisierte Masse auf, mit unbeständiger Stimmung und unberechenbarem Verhalten. Sowohl Mortimer als auch Gaveston sinnieren über das Volk und seine nicht zu bändigenden Ausbrüche.

Trost durch Transvestit

Ebenfalls begleitet ein Engel ‚in Gestalt eines schönen Transvestits‘ (so das Programmheft) Edward und das Publikum durch das Stück. Nur für den Protagonisten sichtbar, schreitet er nicht ins Geschehen ein, steht ihm jedoch in der dunkelsten Stunde zur Seite und reflektiert philosophische Gedanken mithilfe von Zitaten aus einer fernen Zukunft. Jarrett Ott findet die richtige Haltung für die Figur und so gelingt ihm eine konstante und schlüssige Rollendarstellung.

Facetten der Darstellung

Michael Nagy verkörpert den zerrissenen Herrscher in all seinen Facetten, vom leidenschaftlichen Liebhaber über den furiosen Wüterich bis zum gebrochenen Häftling. Auch stimmlich zeigt er ein großes Spektrum mit hartem rhythmischen Deklamieren, schwächelndem Hauchen und zart lyrischem Wohlgesang. Liebhaber Piers de Gaveston wird einfühlsam und erfolgssicher vom Tenor Ladislav Elgr gegeben, wenn auch am Premierenabend hier und da die Stimme etwas erschöpft scheint. Die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz bietet eine selbstbestimmte Königin Isabella dar. Mitreißende Dramatik und berauschende Höhen fesseln, und die Tatsache, dass sie die einzige weibliche Solistin ist, verschärft den Fokus ihrer Auftritte. Ihrem Geliebten Roger Mortimer verschafft Andrew Harris mit knarzigem Bass eine animalisch-grobschlächtige Aura. Ein klanglicher Kontrast zum Bischof, den Burkhard Ulrich mit stimmlicher Schärfe und skurriler Erregtheit zeichnet.

Wenn Wahn Wirklichkeit wird

Edward begreift seine Unvernunft erst, als es schon zu spät ist. Von paranoiden Gedanken getrieben, schickt er den Geliebten Gaveston in einem letzten verzweifelten Versuch fort nach Irland. Mit leichtem Knabensopran überbringt ausgerechnet der junge Prinz Edward (Mattis van Hasselt) dem Vater die schändliche Nachricht vom grausamen Mord an Gaveston. Zweifellos ein packender und schmerzlich rührender Moment und der zentrale Wendepunkt, von dem an der König vollkommen die Kontrolle verliert. Schließlich landet er im Verlies und wird auf Auftrag seiner eigenen Frau durch den Killer Lightborn ermordet – James Krishak gibt diesen mit schauerlich-grotesker Nüchternheit. Dass Edwards Perspektive von Anfang an eingenommen wird, zeigt sich schon durch die Traumszene. So lassen sich die einzelnen Erscheinungen durchaus als subjektive Überzeichnungen oder sogar als Wahnvorstellungen lesen. Der Weg in die Katastrophe steht jedoch fest.

Musik als seelische Bewegung

Scartazzinis Komposition unterstützt diese psychologische Lesart und arbeitet besonders mit großer Klangpalette. Bezeichnend ist die umfangreiche und sehr gezielte Verwendung des Synthesizers und das Sammelsurium an Schlaginstrumenten, in dem von Metallschrapp über Quietsch-Enten bis Superbowls als Schlägel alles Erdenkliche seinen Platz findet. Auch verfremdetes Stimmengeflüster wird über die Lautsprecheranlage eingeblendet. Man findet sich in einem diffusen Klangraum, der mit vielseitigen Lauten und zahlreichen latent einwirkenden Mikroklängen eine Rundumwirkung erzielt. Thomas Søndergård führt die Darsteller profihaft auch durch die schwierigsten Passagen. Auch der Chor begeistert mit Stimmgewalt und Einsatz. Seit Chorleiter Raymond Hughes am Haus ist, erkennt man deutlich gesteigerte Leistungen. Etwas ungewohnt ist dann doch die dramaturgische Anlage, welche die packenden Momente schnell und mitreißend verschießt und das Werk im Schlussteil langsam ausglimmen lässt.

Der Blick danach – Aufbruch in eine Utopie?

Das fulminante Finale kann nur ausbleiben, denn kurz vor Edwards Tod tritt eine Überblendung mit der heutigen Zeit auf; eine Touristengruppe wird durch das Schloss geführt. Edward trifft in einem halluzinativen Timeshift auf einen quasi zukünftigen Gaveston und auf eine Welt, in der seine Sexualität toleriert wird. Ein tröstlicher Ausblick. Wenn man will, kann man in dieser Schlusssequenz aber auch eine Kritik lesen: Der moderne Tourist beschaut und rügt die fürchterliche Vergangenheit, während die Freiheit seines Hier und Jetzt nur einen Schleier über die Intoleranz und die Gewalttaten der modernen globalen Gesellschaft legt.

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Kritik von Theo Hoflich

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Edward II: Musiktheater in zehn Szenen

Ort: Deutsche Oper,

Mitwirkende: Chor der Deutschen Oper Berlin (Chor), Christoph Loy (Inszenierung), Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester), Michael Nagy (Solist Gesang), Agneta Eichenholz (Solist Gesang)

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