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Donnerstag, 30. November 2023

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Gal James (Agathe), Magdalena Hinterdobler (Ännchen), Verena Hierholzer (Samiel), Copyright: Ida Zenna

Gal James (Agathe), Magdalena Hinterdobler (Ännchen), Verena Hierholzer (Samiel), © Ida Zenna

'Der Freischütz' an der Oper Leipzig

Ungewollte Abschreckung statt gewollter Schrecken

Kaum ist der Weihnachtsmarkt vorbei, versperrt schon das nächste dröhnende Event auf dem Augustusplatz den Blick aufs Opernhaus, denn es ist Leipziger Eistraum. Es ist schon gewöhnungsbedürftig, wenige Minuten vor einer Opernvorstellung mit ‚Heidi, deine Welt sind die Berge‘ beschallt zu werden, aber kein Alptraum. Denn das Gewandhausorchester findet unter Christoph Gedschold schnell in den großen romantischen Duktus, und ehe man sich's versieht, ist da nur noch Webers fantastische Musik. Schade, dass dem 'Freischütz' eines der schlechtesten Libretti des gängigen Repertoires zugrunde liegt. Jeglicher literarischer Plunder findet sich vertreten, von billigen Haus-Maus-Reimen über sprachlich unfähige Figuren bis zu einer oft wirren Dramaturgie. Letztere ist freilich keine Ausnahme in der Opernliteratur und gerade deswegen ist bei einem solchen Werk die Regie mehr denn je gefragt.

Der Peinlichkeit die Bühne bieten

Christian von Götz schuf mit seiner Inszenierung ungewollt eine Persiflage auf die Gattung Oper. Vollkommen naturalistisch und in überdeutlicher Artikulation werden die armseligen Sprechdialoge vorgetragen. Die alleingelassenen Darsteller auf der Bühne entlarven, dass ihre primäre Stärke als Sänger und Sängerinnen nun einmal nicht im Schauspiel liegt. Und es darf ja auch mal über die sehr wohl vorhandene Komik gelacht werden. Aber dass Max schlichtweg nicht ernst zu nehmen ist, führt die nicht buffonesk angelegte Geschichte ad absurdum.

Im Zentrum des Geschehens

Stimmlich meistert Thomas Mohr, sonst am Haus bei Wagner zu hören, die Finessen der Partie mit Bravour. Einzig die höhere Lage wird dann oft sehr eng und nasal, während die Spitzentöne wiederum rund und voll klingen. Gal James präsentiert eine große Stimme und Atembeherrschung durch lange Legatobögen. Stimmlich als auch schauspielerisch fällt ihre damenhafte Art etwas aus der Reihe. Vielleicht deswegen schneidet sie beim Schlussapplaus erstaunlich schlecht ab. Ganz im Gegensatz zu Tuomas Pursio, der sich mit Eifer der Rolle des Kaspar hingibt, dafür in der Melodieführung gern mal unpräzise wird und die unangenehmere Lage etwas flapsig übergeht. Nichtsdestotrotz gelingt ihm eine überzeugende Darstellung und gemeinsam mit der Tänzerin Verena Hierholzer als Teufel Samiel auch die einzige mitreißende Szene dieser Inszenierung: die Wolfsschlucht. Hier verbindet sich groteske Mystik mit der musikalischen Fulminanz des Finales im zweiten Akt. Das die ganze Inszenierung dominierende und abwechslungsreiche Licht (Michael Münster) bestärkt die stechende Präsenz der Tänzerin Hierholzer. Gut gelungen ist auch die verzerrte und durch Überlagerung geschaffene dämonische Stimme Samiels. So erfährt man in den letzten Minuten vor der Pause doch noch packenden Schauer.

Mehr als Nebensachen

Den Rivalen des Max, Kilian, bringt Patrick Vogel tüchtig und mit frischem Elan auf die Bühne. Jonathan Michie zeigt als Ottokar charaktervollen Klang und prägnante Gestik. Ganz besonders begeistert Magdalena Hinterdobler, die das Ännchen mit keckem Spiel und brillanter Stimmpräzision gibt. Nicht zuletzt können die Momente des musikalischen Genusses erst durch das hervorragende Spiel des Gewandhausorchesters erlebbar gemacht werden, das unter Gedschold wohlfühlend satt erklingt, mit akkurater Bühnenmusik und virtuosen Soli. Diese Genauigkeit gelingt nicht immer bei den Sängern auf der Bühne. Der Chor ist mit Begeisterung dabei, die Männerstimmen brauchen jedoch bis zum zweiten Teil, um klangliche Homogenität zu finden.

Durch nichts zu retten

Das schön ausgearbeitete und akustisch bedachte Bühnenbild von Dieter Richter kann durch einen technisch raffinierten Drehaufbau schnell zwischen zwei Szenerien wechseln, was jedoch leider überreizt wird. Die sorgsam angefertigten Kostüme von Jessica Karge greifen eine Epoche noch vor der Entstehungszeit auf - handwerklich nett gemacht. In dieser Szenerie lebt eine Dorfgesellschaft mit vielerlei ungeheuerlicher Tradition und Ritualen. Wenn man ganz gnädig hinsieht, findet sich noch der Geschlechterkonflikt – Samuil ist ja schließlich eine Frau. Eine nette Idee. Das eigentlich Fatale dieser Inszenierung ist der ständige Bruch durch die lächerlichen Sprecheinlagen. Der Text wird durch seine unreflektierte, platte Ausführung geradezu vorgeführt. So verliert sich jeglicher intellektuelle Anspruch, jeglicher tiefer gehende ästhetische Gedanke in einem schlechten Jahrmarktsspiel. Es wird genau das Vorurteil bestätigt, welches der Oper vom uneingeweihten Teil der Bevölkerung zum Vorwurf gemacht wird, nämlich altbacken und überholt zu sein. Und deswegen keiner Einarbeitung wert.

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Kritik von Theo Hoflich

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Der Freischütz: Romantische Oper in drei Aufzügen

Ort: Oper,

Werke von: Carl Maria von Weber

Mitwirkende: Chor der Oper Leipzig (Chor), Christoph Gedschold (Dirigent), Gewandhausorchester Leipzig (Orchester), Magdalena Hinterdobler (Solist Gesang), Thomas Mohr (Solist Gesang), Tuomas Pursio (Solist Gesang)


Presseschau mit ausgewählten Pressestimmen:

Den Wald gibt es schon wieder nicht
Webers "Der Freischütz" an der Leipziger Oper
(neue musikzeitung, )

Musikalisch eher rustikal als sensibel
"Der Freischütz" an der Oper Leipzig
(Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), )

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