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René Jacobs, © Molina Visuals
Das Freiburger Barockorchester unter René Jacobs
Dramatisch zugespitzt
Mozarts Requiem ein Meisterwerk? Nicht für René Jacobs. Der meint bündig: Es "blieb ein Torso, und Torsos können keine Meisterwerke werden". Und dem Requiem-Fragment gelang das gewiss auch nicht durch die verdienstvolle, aber Mozarts Niveau nicht erreichende Vervollständigung durch Franz Xaver Süßmayr. Was also tun? Zwei Maßnahmen ergreift Jacobs für das Requiem-Projekt mit dem Freiburger Barockorchester (FBO) und dem RIAS-Kammerchor, das jetzt in Freiburg Station machte. Zuerst muss für das Programm noch ein wirkliches Meisterwerk her. Ein solches ist mit Joseph Haydns sogenannter 'Harmoniemesse' von 1802 gefunden, einem Werk, dessen Vernachlässigung im Konzertbetrieb ebenso wie diejenige seines Schöpfers unbegreiflich ist. Und was Mozarts Requiem-Fragment angeht, hat man sich für eine Neubearbeitung der Süßmayr-Fassung entschieden, die der junge Komponist Pierre-Henri Dutron hergestellt hat. Man durfte gespannt sein.
Falsche und echte Andacht
Eigenwillig-originell sind die Wege, die Jacobs in interpretatorischer Hinsicht einschlägt (wenngleich das bei diesem Interpreten nicht überrascht). Mit der falschen kehrt Jacobs auch die echte Andacht aus beiden Werken aus. Sein Zugriff ist in beiden Fällen im Kern dramatisch-sinfonisch, angelegt auf den großen Bogen, der zugleich mit Frische und altmeisterlicher Erfahrung, vor allem aber mit flotten, sehr flotten Tempi herausgearbeitet wird. Die Schlussfuge des Requiem zum Beispiel evoziert eher eine Zirkusnummer als eine Totenmesse. Freilich beeindruckt, wie Jacobs das ganze Werk und insbesondere die Sequenz als ein großes, ohne längere Pausen zwischen den Sätzen musiziertes Ganzes auffasst. Falsche Goldschnitt-Stimmung kann im 'Recordare' gar nicht erst aufkommen. Und Jacobs staut die Raserei immer wieder an entscheidenden Punkten: So erscheint etwa das 'Lacrymosa' in seiner fließenden, wenngleich schmerzlich akzentuierten Bewegung wie ein Ruhemoment, mit dem sehr langen, klangflächig ausgehörten Schlussakkord als Kraftzentrum.
Natürlich hat Jacobs auch Kräfte zur Verfügung, die dieser Gangart gewachsen sind. Das Freiburger Barockorchester und der RIAS-Chor sind zwei Ensembles, die jedes beliebige Tempo anschlagen können, ohne dass das auf Kosten der musikalischen oder klanglichen Substanz ginge. Der Chor zeigt sich äußerst agil, dabei stets locker; homogen ist der Gesamtklang, aber farbenreich, zudem so wandlungsfähig, dass jederzeit die Stimmgruppen aufgefächert werden, mit- oder gegeneinander hervortreten können. Im FBO setzen die Geigen und Bässe den Rahmen, in dem sich klanglich mancherlei tut, vor allem vonseiten der Holzbläser.
Exzellente Solisten
Die kommen durch Dutrons Bearbeitung mancherorts stärker zur Geltung als in der ursprünglichen Süßmayr-Fassung; dass die Posaunen am Anfang des 'Rex tremendae' nicht erklingen, ist schon fast eine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus wirkt Dutrons Fassung nicht selten aufgeweckter als die Vorlage; er verhilft den Instrumentalisten zu mehr Präsenz und schärft damit auch das klangliche Profil des Ganzen. Über manche Zutaten ließe sich freilich streiten, z.B. über die etwas pauschal wirkende Sequenz am Ende des 'Osanna', oder über die kurze Wortmeldung der Solisten vor der Schlusswendung 'Quia pius es'.
À propos Solisten: Ein exzellentes Quartett wird hier aufgeboten, und man bedauert, dass beide Partituren keine ausgedehnteren solistischen Passagen vorsehen. Ausgesprochen nobel der expressive Sopran von Sophie Karthäuser – fast extrovertierter wirkt der sehr helle und präsente Alt von Marie-Claude Chappuis. Maximilian Schmitt (Tenor) und Johannes Weisser (Bass) bringen durchschlagskräftiges, aber keineswegs aufdringliches viriles Timbre ein.
Fast visionär dann die Darstellung von Haydns 'Harmoniemesse'. Grundsätzlich ist hier der Part des Orchesters (und insbesondere der Bläser) neben dem Chor sehr präsent. Jacobs hebt aber auch hier konsequent die Gesamtarchitektur hervor, so dass man es nicht mit der Nummernfolge traditioneller Messvertonungen zu tun zu haben meint, sondern mit einem eigenartigen Zwischending, das auf jene Sinfonien mit Chor vorauszuweisen scheint, die zu Haydns Zeit noch Zukunftsmusik waren. Beeindruckend, wie Jacobs Zäsuren herausarbeitet, die den Fluss zugleich anhalten und gliedern; dramatisch zugespitzt der "Miserere"-Ruf mit nachfolgender Generalpause. Die Fanfare, die in das finale 'Dona nobis pacem' überleitet, kommt hier sehr martialisch, und wenn sie später kurz noch einmal anklingt, wirkt das wie ein Atemzeichen, bevor es hineingeht in die letzte Steigerung.
Kritik von Gero Schreier
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Abokonzert 2 Freiburg: Mozart Requiem: Freiburger Barockorchester
Ort: Konzerthaus,
Werke von: Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart
Mitwirkende: RIAS Kammerchor (Chor), René Jacobs (Dirigent), Freiburger Barockorchester (Orchester), Sophie Karthäuser (Solist Gesang), Marie-Claude Chappuis (Solist Gesang), Maximilian Schmitt (Solist Gesang), Johannes Weisser (Solist Gesang)
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