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Anna Virovlansky (Lucia) & Katharina Thalbach (Geist der verstorbenen Mutter Lucias), © Kirsten Nijhof
'Lucia di Lammermoor' an der Oper Leipzig
Die Regisseurin auf der Bühne
An der Oper geht es kurz vor einer Premiere oft drunter und drüber. Nicht selten erfolgen Änderungen in letzter Minute, eine aufgeregte Stimmung kurz vor dem großen Tag ist Normalität. Und manchmal passieren dann noch ganz unberechenbare Dinge: ein Unfall, die Protagonistin verletzt sich, die ganze Inszenierung gerät ins wanken. Dass aber die Regisseurin ihre Inszenierung buchstäblich selbst rettet, indem sie auf die Bretter tritt und mitspielt, ist nicht einfach nur ungewöhnlich, sondern einmalig. Katharina Thalbach tat genau das.
Die schönen Bänder
Anna Virovlansky in der Titelpartie hatte sich vor wenigen Tagen beim Proben einen Bänderriss zugezogen, laufen war somit ausgeschlossen. Also kam Regisseurin Katharina Thalbach, die ja ohnehin jahrzehntelange Schauspielerfahrung genießt, zu Hilfe und schob die junge Sopranistin im Rollstuhl über die Bühne. Der Nachwuchssängerin von 2006 stand somit die Nachwuchsschauspielerin von 1974 zur Seite. In dunkle Schleier gekleidet baute sich Thalbach noch spontan als Geist der verstorbenen Mutter in die Inszenierung ein – mal hintergründig davonschleichend, mal tröstend zur Seite, immer mit Präsenz und meisterlichem Spiel. Die Stimmbänder von Anna Virovlansky sind aber in Ordnung, bemerkte Generalmusikdirektor und Intendant Ulf Schirmer, als er zu Beginn der Vorstellung höchstpersönlich vor den Vorhang trat. So gab es musikalisch, wie man schnell merken sollte, keinerlei Einbußen. Virovlansky beeindruckt mit energiegeladenen Höhen, Leidenschaft und inniger Darstellung. Auch in der langen Wahnsinns-Szene fesselt sie mit entrücktem Blick, bestechendem Klang und ungeheurem Spannungsreichtum. Das Handicap nutzt sie geschickt und verdeutlicht damit Lucias Hilflosigkeit, als Spielball der machthungrigen Männerwelt ausgeliefert zu sein. Als einzige Frau steht ihr die Vertraute Alisa zur Seite, gebührend von Sandra Janke gegeben.
Bunte Klangpalette
Das Gewandhausorchester präsentiert unter Anthony Bramall extraordinäre Farbfülle. Auch wenn für die Wahnsinnsarie kein Glasharmonium angeschafft wurde, kommen so Freunde des facettenreichen Klangs auf ihre Kosten. An mancher Stelle leidet die Präzision darunter, was nur auffällt, weil Bramall die Orchesterstimmen glasklar ausarbeitet. Auch in der männlichen Besetzung stehen sich ganz verschiedene Timbres entgegen: Lucias Bruder Lord Enrico Ashton wird von Mathias Hausmann mit kraftvollem Bariton und fürstlicher Ausstrahlung gegeben. Zwar etwas rabiat in den Höhen und mechanisch im Schauspiel – wie allerdings die meisten an diesem Abend –, behauptet er sich dennoch entschlossen gegen seinen Erzfeind Edgardo. Den singt Rollendebütant Antonio Pollo mit beeindruckend heroischer Stimmgewalt und erweitert damit erfolgreich sein Repertoire um eine weitere Belcanto-Partie. Daneben ist der kurzlebige Gatte Lucias Arturo mit Sergei Pisarev und dessen andersartigem Temperament und hellem Timbre geeignet besetzt. Dan Karlström macht sich gut in der kleinen Rolle des Hauptmanns Normanno. Auch der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) liefert mit erschütternder Stimmgewalt und Einsatz erneut Großes ab. Das karikierende Spiel der Choristen bringt eine Note von Skurrilität in die Inszenierung. Herausragend gelingt Sejong Chang die Gesamtdarstellung des Raimondo, der im Priestergewand bestimmt für das Wort Gottes eintritt. Sein sonorer und weittragender Bass verleiht ihm eine authentische Autorität inmitten dieses gottverlassenen Desasters.
Schottische Horror-Story
Düster und gruselig gestaltet Thalbach das Geschehen im Geiste der schottischen Vorlage von Walter Scott. Dabei unterstützen das gezielt eingesetzte Licht (Michael Fischer) und die klassischen Schottenröcke (Kostüm: Angelika Rieck). Drei Geisterhexen – vom Roman inspieriert – veranschaulichen Lucias Visionen und schwirren als Omen des heraufkommenden Wahnsinns über die Bühne. Die rachedurstigen Lords sind so auf ihre narzisstischen Pläne konzentriert, dass sie die psychische Entgleisung nicht wahrnehmen, bis schließlich die Katastrophe geschieht.
Im schlicht angelegten Bühnenbild von Momme Rohrbein lassen sich zahlreiche neue Schauplätze errichten. Dass der Vorhang dann für jede Umgestaltung gesenkt wird, was man ja fast nur noch aus alten Inszenierungen kennt, stört spätestens beim dritten Mal. Ansonsten ist an dieser sicherlich nicht bahnbrechenden, aber durchaus stimmigen Inszenierung mit ihren erschwerten Startbedingungen wenig auszusetzen. Das offenkundige Engagement der Beteiligten macht einen Besuch lohnenswert.
Kritik von Theo Hoflich
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Lucia di Lammermoor: Dramma lirico in drei Akten von Gaetano Donizetti
Ort: Oper,
Werke von: Gaetano Donizetti
Mitwirkende: Chor der Oper Leipzig (Chor), Anthony Bramall (Dirigent), Katharina Thalbach (Inszenierung), Gewandhausorchester Leipzig (Orchester), Anna Virovlansky (Solist Gesang), Mathias Hausmann (Solist Gesang), Dan Karlström (Solist Gesang)
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