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Freitag, 1. Dezember 2023

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Marco Nistico in the title role of "Don Pasquale" at Sarasota Opera, Copyright: Rod Millington

Marco Nistico in the title role of "Don Pasquale" at Sarasota Opera, © Rod Millington

'Don Pasquale' zum Saisonauftakt in Sarasota

Donizetti im sonnigen Florida

Natürlich ist Florida nicht unbedingt ein Ort, den man als Europäer spontan mit Oper assoziiert. Die meisten Menschen reisen dorthin wegen Sonne und Strand und noch mehr Sonne und Strand. Plus den Micky Mäusen in Orlando, vielleicht. Dabei hat Sarasota, eine Stunde von Orlando entfernt an der Südseite der Bucht von Tampa gelegen, ein historisches Opernhaus aus dem Jahr 1926, das jedes Jahr im Winter bespielt wird von der Sarasota Opera. Die bietet eine von November bis März laufende Saison für "Snowbirds": Menschen, die in Florida überwintern, um dem Schnee daheim zu entkommen, wie Zugvögel. In malerischen Sarasota und den vorgelagerten Golf-von-Mexico-Inseln Siesta Key, Longboat Key und Anna Maria Island sind das vor allem sehr reiche Amerikaner aus den großen Metropolen des Nordens, die es gewohnt sind, Kultur großzügig zu genießen und finanziell zu fördern, und die darauf auch im Winter in Florida nicht verzichten wollen. Deshalb unterstützen sie mit Spenden diverse kulturelle Aktivitäten von Sarasota, einer der wohlhabendsten Gemeinden im ganzen Land – in den 1920er Jahren gegründet vom Zirkusmillionär John Ringling, der der Stadt nach seinem Tod das weltberühmte Ringling-Museum stiftete. Es ist eine der ersten Kulturadressen der USA, mit einer legendären Rubens-Sammlung!

Neben der Sarasota Opera gibt es das Asolo Repertory Theatre, wo neben klassischen Musicals wie 'Guys and Dolls' und Schauspielen auch das Sarasota Ballet zu sehen ist. Dann gibt es Konzerte und jede Menge berühmte Solisten in der Van-Wezel-Halle (Emerson String Quartet, Minnesota Orchestra, Royal Scottish National Orchestra etc.) und dem Riverview Performing Arts Center. Von Lang Lang über Diana Damrau und Itzhak Perlman geben sich da die Stars die Klinke in die Hand.

Fünf Opern stehen diesen Winter jeweils sechs Mal in Sarasota auf dem Spielplan, allesamt Titel, die dort bislang noch nie zu sehen waren. Das Programm reicht von 'Don Pasquale' über Francis Poulencs 'Dialogues des Carmélites' und Puccinis 'Madama Butterfly' bis zu Italo Montemezzis 'L'amore dei tre re' (1913). Zum Auftakt gab es – kurz vor Halloween – Donizettis gloriose Buffa über einen liebestollen reichen Greis, der von seiner jungen Frau an der Nase herumgeführt wird. Ein Thema, das dem Publikum vor Ort bestens vertraut zu sein scheint, denn es lachte laut auf über jeden (!) Witz, der mit Geld, überflüssigen Ausgaben für Schmuck, Mode und Friseure und mit Lüsternheit von Senioren zu tun hatte. Dabei war die Produktion von Stephanie Sundine alles andere als komisch. Man könnte sogar sagen, sie war mehr oder weniger als Regiearbeit nicht existent, denn der Abend kam optisch nicht darüber hinaus, die vier Solisten in extrem biederen und einfallslosen "historischen" Bühnenbildern herumstehen und singen zu lassen.

Eine solche Aufführungspraxis funktioniert nur, wenn die Sänger genug eigene Persönlichkeit mitbringen, um das Geschehen zu beleben. Glücklicherweise taten das "Barihunk" Gideon Dabi als Doktor Malatesta und Angela Mortellaro als Norina auf beispielhafte Weise. Besonders Mortellaro durchschoss ihre Szenen mit jener stimmlichen und darstellerischen Energie, die Donizetti braucht, um zu wirken. Sie hat eine durchschlagende jugendliche Stimme mit exzellenter Höhe; ihre Melodiebögen füllten mühelos das große runde Auditorium, das Stimmen akustisch hervorragend zur Geltung bringt. Die Szenen zwischen ihr und dem vollbärtigen Dabi entfalteten große Wirkung, hatten Esprit und Glanz, und sie gaben eine Ahnung, was in dieser Oper von 1843 alles stecken könnte.

Mehr Brio statt zwei Pausen

Leider war der künstlerische Leiter der Sarasota Opera, Dirigent Victor Renzi, nicht jemand, der sein Orchester zu differenzierter Leidenschaftlichkeit animieren konnte. Renzi scheint beim spendierfreudigen Publikum sehr beliebt zu sein, und ich möchte nicht ausschließen, dass er als Dirigent von großen italienischen "Schinken" Eindruck machen kann. Aber mit der delikaten Orchestersprache Donizettis konnte er ganz offensichtlich nichts Außergewöhnliches anfangen; zu pauschal und witzlos blieben die meisten Passagen. Auch hätte ein deutlicher Schuss mehr Brio der Aufführung mit zwei Pausen – für die Empfänge zwischendurch – nicht geschadet.

Als Titelrollendarsteller hat man sich Marco Nisticò aus Neapel geholt. Der spielte einen müden weißhaarigen Herren, völlig routiniert und ohne jeden stimmlichen oder spielerischen Saft. Weswegen der Aufführung ein Zentrum fehlte und weswegen die Komik einfach nicht zünden wollte. Was auf Dauer ermüdend war. Selbst das berühmte Prestissimo-Parlando-Duett zwischen Pasquale und Malatesta blieb eine von jedem Verve freie Demonstration von Routine auf Seiten von Nisticò.

Elvis Presley und Will Rogers

Aus der müden Routine wurde man allerdings immer wieder geweckt vom koreanischen Tenor Hak Soo Kim, der den Ernesto mit erstaunlicher Strahlkraft und einigem Schmelz sang. Wäre er nicht ein so peinlich unbeholfener Darsteller, der keine Ahnung hat, wie man sich auf einer Opernbühne über die drei Standardposen hinaus bewegt,  hätte er mit Dabi und Mortellaro den Abend zu einem echten Ereignis machen können. Vokal war es das teilweise.

Dank der großzügigen Spenden kann die Sarasota Opera Karten bereits ab 19 Dollar anbieten, was für amerikanische Opernverhältnisse phänomenal günstig ist, zumal man vom Rang aus exzellent sieht und hört. Außerdem ist die Atmosphäre im und rund um das historischen Gebäude in der Pineapple Avenue wirklich besonders – ein Hauch von Geschichte durchweht dieses Theater, in dem einst Will Rogers mit den Ziegfeld Follies als auch Elvis Presley auftraten.

Während ich die mit Juwelen behangenen Wintergäste um mich herum betrachtete, viele in erlesenen Abendroben, dachte ich: Diese Opernliebhaber hätten mehr als Routine verdient für ihr aus Leidenschaft fürs Genre gespendete Geld! Und Solisten wie Gideon Dabi und Angela Mortellaro hätten auch einen spritzigeren Rahmen verdient, um ihre bemerkenswerten Stimmen zu präsentieren, die es auf alle Fälle lohnt kennenzulernen. Erwähnt werden muss hier übrigens noch der ziemlich phänomenal aussehende (und sehr gut singende) Tenor Sean Christensen aus Fribourg, der den sonst eher unauffälligen Notar im zweiten Akt zu einem unverhofften Highlight des Abends machte und dafür viel Sonderapplaus bekam.

Bayreuth-Assoziationen

Für Urlauber an den Stränden rund Tampa lohnt der Ausflug nach Sarasota auf alle Fälle: das Ringling-Museum ist quasi Pflichtprogramm, inklusive die venezianische Ringling-Villa an der Bucht von Sarasota; von da kann man bequem weiter zum exklusiven Armand Circle fahren, zum Essen, und dann weiter zur Oper. Besonders Montemezzis 'L'amore dei tre re' wird man anderswo kaum so schnell auf dem Spielplan finden. Gerade bei diesen üppig orchestrierten italienischen Opern des frühen 20. Jahrhundert kann man auch die Akustik des Theaters besonders bestaunen, die Stimmen eine unverhoffte Durchschlagkraft gibt, fast wie in Bayreuth. Und das war für mich sicher die unverhoffteste Assoziation des Donizetti-Abends.

Meine Begleitung war übrigens begeistert von den Sängern, auch von Marco Nisticò, und von der Inszenierung, die alles bietet, was man im dekonstruktionsfreudigen Regietheater-Deutschland kaum mehr zu sehen bekommt. Der einzige Schock für meine Mutter war: Trotz all der Juwelen, all der teuren vorfahrenden Autos, die von Valets geparkt werden und trotz all dem Luxus wird der Wein in der Pause aus Plastikbechern getrunken. Welcome to the USA!

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Kritik von Dr. Kevin Clarke

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Don Pasquale: Opera buffa in drei Akten von Gaetano Donizetti

Ort: Sarasota Opera,

Werke von: Gaetano Donizetti

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