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Montag, 2. Oktober 2023

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Semperoper Dresden, Copyright: Tilman2007

Semperoper Dresden, © Tilman2007

'Mathis der Maler' an der Semperoper Dresden

Orchestrales Dauerforte

Die Szene bedeutete für das bürgerliche Opernpublikum der 1930-er Jahre natürlich eine moralische Provokation: Da sitzt eine Frau in der Badewanne und besingt die Vorzüge der Warmwasserversorgung. Doch damit nicht genug: Es tritt ein Herr ein und möchte diese Situation für seine voyeuristischen Absichten ausnutzen. Für Adolf Hitler war diese Momentaufnahme aus 'Neues vom Tage' Grund genug, um Hindemith in Ungnade fallen zu lassen. So fand auch die Uraufführung von 'Mathis der Maler' am 28. Mai 1938 am Stadttheater Zürich statt. Nachdem bereits mehr als vier Jahre zuvor Wilhelm Furtwängler in Berlin die Symphonie 'Mathis der Maler' dirigiert hatte, erwirkten die Nationalsozialisten noch im selben Jahr ein Aufführungsverbot des Werks.

Auch bei der Entstehung des Librettos zu 'Mathis der Maler' spielten die politischen Veränderungen der 30er Jahre eine entscheidende Rolle: Ursprünglich beabsichtigte Hindemith, Johannes Gutenberg zur zentralen Gestalt seines neuen Werks machen; nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wandte er sich jedoch dem für seinen Isenheimer Altar weltberühmten Maler Mathias Grünewald zu. Im Vordergrund des auf fiktiven Episoden basierenden Librettos steht die Frage des Künstlers in der Gesellschaft. Den zeitlichen Hintergrund dafür liefern die Bauernkriege, die den Maler Mathis aus seiner künstlerischen Abgeschiedenheit reißen. Da seine Freunde aufseiten der Reformation gegen die katholischen Landesherren kämpfen, in deren Dienst aber Mathis steht, findet er sich plötzlich inmitten eines Interessenskonflikts. Noch prekärer wird die Situation, da ihn Ursula, die Tochter eines reichen protestantischen Mainzer Bürgers, liebt, ohne allerdings erhört zu werden. Als Reaktion auf die um sich greifende Gewalt der militärischen Auseinandersetzungen zieht sich Mathis zurück und akzeptiert das Malen als seine von Gott bestimmte einzige Lebensaufgabe. Sicherlich, verglichen mit dem Opernkrimi 'Cardillac' ist dieses weit über drei Stunden dauernde Künstlerdrama ein sperriges Werk.

Was nun die Partitur betrifft, so erläuterte der Komponist selbst, dass "alte Volkslieder, Streitgesänge aus der Reformationszeit und der gregorianische Choral den nährenden Boden für die Mathis-Musik" bilden. Hindemith verband diese und andere Elemente der europäischen Musiktradition wie etwa das Concerto grosso, die Chaconne und Kirchenlieder bruchlos mit seiner an der Entwicklungen der 20er Jahre orientierten Kompositionstechnik. Vor allem aber ist die Partitur äußerst dicht instrumentiert, was vonseiten des Dirigenten eine ständige Rücksichtnahme in Sachen Lautstärke erfordern würde. Für die Dresdner Semperoper bedeutet die Produktion des Werks gleichzeitig dessen Erstaufführung an diesem Haus, wobei man die Sächsische Staatskapelle diesmal vor allem wegen des gnadenlosen Fortissimo in Erinnerung behalten wird. Dass Simone Young am Dirigentenpult nicht mit einer sängerfreundlichen Dynamik gleichzusetzen ist, weiß man; da sich ihr Gestaltungsvermögen im Falle dieser Partitur in einer enormen, einem transparenten Klangbild entgegenstehenden Lautstärke erschöpft, erhärtet sich der Eindruck, dass dieses Eliteorchester zu wesentlich mehr Raffinesse fähig wäre.

Markus Marquardt singt die Titelrolle mit der für ihn gewohnten Differenzierung, ohne bei diesem Interpretationsansatz jedoch vom Orchester unterstützt zu werden. Exzellent die beiden Tenöre: John Dazak brilliert als Herzog von Brandenburg mit tragfähigem Charaktertenor, für den Höhenprobleme offenbar ein Fremdwort sind. Exzellent auch Herbert Lippert, dem die extreme Tessitura des fanatischen Bauernführers Hans Schwalb nicht nur keine Probleme bereiten, ihm gelingt auch eine mustergültig textdeutliche Interpretation. Annemarie Kremers Sopran ist tragfähig genug, um nicht in den Orchesterwogen zu versinken, Artikulation und Stimmfarben zählen dagegen zu den Schwachpunkten der niederländischen Künstlerin. Unterschiedlich das Niveau der kleineren Partien: Matthias Henneberg (Lorenz), Emily Dorn (Regina) und Christa Mayer (Gräfin Helfenstein) ergänzen die Besetzung auf rollendeckendem Niveau. Der grobschlächtige Bass Michael Eders (Riedinger) ist an einem ersten Opernhaus hingegen nicht am richtigen Platz.

Regisseur Jochen Biganzoli versucht die Geschichte zu abstrahieren und mit der Biographie Paul Hindemiths zu verknüpfen: Da sieht man bereits beim Öffnen des Vorhangs die eingangs erwähnte Badewanne, vor dem letzten Bild dröhnt die berühmt-berüchtigte kulturpolitische Rede Goebbels aus dem Volksempfänger. Die Spielfläche ist umgeben von über zehn Metallgerüsten, auf denen meterhohe Gemälde von Robert Longo, Roy Lichtenstein, Ernst Ludwig Richter und Claude Monet zu sehen sind. Auch der Isenheimer Alter darf natürlich nicht fehlen; er wird jedoch zu einer aberwitzigen Summe versteigert. Andreas Wilkens Ausstattung wirkt durchaus beeindruckend. Nur mit einem Aspekt ist das Konzept nicht kompatibel: mit dem vom Komponisten selbst verfassten Libretto, das zu sehr im 16. Jahrhundert der Bauernkriege und Reformation verankert ist, als dass eine Transferierung in die Gegenwart restlos aufginge.

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Kritik von Dr. Rainhard Wiesinger

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Mathis der Maler: Oper in sieben Bildern von Paul Hindemith

Ort: Sächsische Staatsoper Dresden (Semperoper),

Werke von: Paul Hindemith

Mitwirkende: Simone Young (Dirigent), Sächsische Staatskapelle Dresden (Orchester), John Daszak (Solist Gesang), Markus Marquardt (Solist Gesang), Matthias Henneberg (Solist Gesang), Herbert Lippert (Solist Gesang), Annemarie Kremer (Solist Gesang), Michael Eder (Solist Gesang), Tom Martinsen (Solist Gesang)

Detailinformationen zum Veranstalter Sächsische Staatsoper Dresden (Semperoper)

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