> > > > > 24.01.2016
Samstag, 3. Juni 2023

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Catherine Naglestad als Salome, Copyright: Monika Rittershaus

Catherine Naglestad als Salome, © Monika Rittershaus

'Salome' an der Deutschen Oper Berlin

Strahlend hell und tief dunkel

Musikalisch beeindruckt die neue 'Salome' unter der Leitung von Alain Altinoglu an der Deutschen Oper Berlin auf ganzer Linie. Claus Guths Inszenierung wird dem Anspruch leider nicht gerecht. Einzelne Gedanken bieten einen interessanten Ansatz; zu einem soliden, schlüssigen Gesamtkonzept kommt es trotzdem nicht.

Ohne vokale Einschränkungen

Wenn der Dramaturg vor einer Vorstellung auf die Bühne kommt, ist das nie ein gutes Zeichen. Zur Erleichterung war es dann doch kein Ausfall, den er verkündete. Catherine Naglestad habe sich die Rippen geprellt und sei daher und infolge der notwendigen Schmerzmittel nicht in Bestform, um die Partie der Salome zu geben. Von einer stimmlichen Einschränkung war indes nichts zu merken. Naglestad bewältigt die Gipfelpartie mit kraftvoller Stimme und fesselnder Darstellung, sodass man zwischendurch ganz vergisst, dass nicht nur die Figur, sondern vielleicht auch die tatsächliche Person auf der Bühne gerade Schmerzen leidet. Umspielt wird Salome von sechs Mädchen, die sie in verschiedenen Altersstufen abbilden. Sichtlich erstaunt, gar erschrocken wirkt Naglestad auf den donnernden Einzelapplaus, den ihr das Publikum am Ende zu Recht spendet.

Fifty Shades of Timbre

Neben Naglestad braucht es große Stimmen. Michael Volle beweist als Jochanaan, dass er derart dramatischen Partien durchaus gewachsen ist. Sein Bariton ist aus dem Off ebenso genauso präsent wie auf der Bühne, wenn er auf dem Boden zusammengekauert Salome abweist. Mit dunklem Timbre verleiht er dem Propheten den idealen Klang. Einen starken Kontrast setzt Burkhart Ulrich mit heller Stimme. So wird seine Figur zum grotesken Buffo, nicht nur stimmlich; alles in seiner Darstellung mutet komisch an. Ulrich zeichnet den seltsamen Patriarchen exzellent, die eingebauten Lacher scheinen allerdings etwas fehl am Platz. Manchmal ist er dann doch etwas zu leise für den gewaltigen Straussschen Orchesterapparat. Ein Gegensatz zu Ulrich ist Jeanne-Michèle Charbonnet, die sich als Herodias mit düsterem, vollem Klang klar vom Tetrarchen absetzt. Thomas Blondelle als Narraboth bringt den Liebeswahn in der Stimme wunderbar zum Ausdruck.

Die zahlreichen kleineren Partien sind durchweg solide besetzt, besonders das musikalisch anspruchsvolle "Judenquintett" zeugt von der guten Führung Altinoglus, präziser Vorbereitung und hervorragender künstlerische Zusammenarbeit des Ensembles. Der 40-jährige französische Dirigent und frische Musikdirektor des Königlichen Opernhauses in Brüssel hat die 'Salome' bereits an so namhaften Häusern wie der Wiener Staatsoper oder dem Opernhaus Zürich dirigiert – das merkt man. Die schwierige, "verrückte" Partitur fasziniert und schockt bei so gelungener Ausführung, wie sie Altinoglu und das Orchester der Deutschen Oper Berlin präsentieren, noch heute, hundertzehn Jahre nach der Uraufführung.

Kleider machen Leute

Kleidung ist das zentrale Motiv, für das sich Claus Guth entschieden hat. Aus einem dreckigen Kleiderhaufen steigt Jochanaan bei seinem Auftritt nur in Unterhose. Er wird von den jungen Salomes angekleidet, in gleicher Aufmachung wie Stiefvater Herodes, womit Guth etwas plakativ auf die Vateridentifikation des Propheten hinweist. Die zahlreichen Nebenfiguren, welche sich in den ersten Szenen um Salome tummeln, sind lange im Freeze und bewegen sich bei Jochanaans Auftritt wie Zombieroboter weg. Dann wird klar: Es sind Schaufensterpuppen. Denn zur vierten Szene erfährt das Bühnenbild einen kompletten Wandel, vom düsteren Traumort hin zu einem ausgeleuchteten Verkauf für Herrenanzüge in den Fünfziger Jahren – "Massanfertigungen" steht in großen Lettern an der Rückwand – mit Herodes als berechnendem Geschäftsmann.

Salome will aus diesem bürgerlichen Haushalt ausbrechen, in dem es genau darum geht, maßgeschneiderte und doch uniformierende Fassaden anzufertigen. Als Außenseiterin steht sie dieser Pseudo-Individualisierung entgegen. Jochanaan ist in dieser Welt mal starr wie eine Puppe, mal imitiert er Herodes. Im Tanz der sieben Schleier werden nach Mutter Herodias die sechs jungen Salomes an Herodes durchgereicht. Mit dem Heranwachsen Salomes wendete sich der Tetrarch von seiner Frau ab hin zur Stieftochter. Als Salome nach langem Drängen ihren Wunsch - den Kopf des Jochanaan - erfüllt bekommt, wandelt auch das Bühnenbild zurück in die sphärisch-dunkle Anfangsszenerie. Während des gemächlichen Essens der Familie wird dann der Prophet geköpft. Jochanaans Kopf ist natürlich ... der Kopf einer Schaufensterpuppe. Also doch alles Hirngespinst der Prinzessin?

Verfahren in zu viele Richtungen

Narraboths Leiche ist, als der Tetrarch sie findet, eine Schaufensterpuppe. Jochanaan hat magische Kräfte, zaubert mit seinem Fluch Feuer herbei. Sind sie beide nur Imagination Salomes? Salome stirbt nicht, sondern flieht, bricht aus. Wohin? Mehr Fragen werden aufgeworfen als beantwortet. Statt der dem Werk impliziten fatalistischen Wendung setzt Guth auf ein vollkommen offenes Ende, das den Anfang von etwas noch viel Größerem markieren könnte, die geschlossene Dramaturgie aber zerreißt. Viele der gebotenen Bilder sind stark, auch wegen des ausgezeichnet facettenreichen Lichts (Olaf Freese). Doch die Einheit von Anfangs- und Schlussszenerie reicht nicht aus für eine runde Form. Zu inkonsequent ist die Erzählweise, als dass ein roter Faden zu ergreifen wäre.

Ein persönliches Schlussurteil: Die Verlegung in einen Kleidungshandel ist doch etwas zu kleinformatig und entspricht nicht der epochalen Gewaltigkeit, die dieses Werk ausmacht. Die niederschmetternden Buh-Rufe des Publikums, als das Regieteam auf die Bühne kommt, erscheinen allerdings überzogen.

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Kritik von Konstantin Parnian



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Salome: Musikdrama in einem Aufzug

Ort: Deutsche Oper,

Werke von: Richard Strauss

Mitwirkende: Alain Altinoglu (Dirigent), Claus Guth (Inszenierung), Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester), Burkhard Ulrich (Solist Gesang), Jeanne-Michèle Charbonnet (Solist Gesang), Catherine Naglestad (Solist Gesang), Michael Volle (Solist Gesang)

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