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Montag, 27. März 2023

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Szenenfoto Hoffmanns Erzählungen, Copyright: Karl Forster

Szenenfoto Hoffmanns Erzählungen, © Karl Forster

Standing Ovations für 'Hoffmanns Erzählungen'

Zuckerbrot und Peitsche

Natürlich gab es Standing Ovations für Stefan Herheims 'Hoffmanns Erzählungen' am Premierenabend in Bregenz, doch auch einige Buhs waren zu hören; zudem blieben nach der Pause zahlreiche Plätze im ausverkauften Haus unbesetzt. Trotz Premiereneuphorie gefiel diese überfrachtete Inszenierung nicht jedem im Saal. Herheim setzt vordergründig auf die suggestive Kraft der Bilder, zelebriert Vulgarität und stellt mit großem Zynismus vehement gesellschaftliche Gewohnheiten an den Pranger. All dies soll und muss erlaubt sein - der Zuschauer entscheidet letztendlich, ob er sich auf das Spiel des Stefan Herheim einlässt. Viele seiner Fans waren natürlich auch in Bregenz anwesend; man reist ihm nach, er ist offensichtlich ein Star. Für dieses Spiel eignet sich natürlich Jacques Offenbachs Oper vorzüglich. Die neue Intendantin der Bregenzer Festspiele, Elisabeth Sobotka, bot dem Regisseur Raum für seine Weltanschauung in Koproduktion mit den Opernhäusern Köln und Kopenhagen.

Herheim: das kollektive Bewusstsein beeinflussen

Handwerklich war alles vom Feinsten, ausgefeilt jedes Detail bis hin zur Perfektion. Es grenzt schon an ein Wunder, was Herheim hier in einer kurzen Probenzeit geschafft hat. Er ist eben ein Besessener. Das gilt auch für die Bühne (Christof Hetzer) sowie für die Kostüme (Esther Bialas), beides ästhetisch aus einem Guss. Doch die enorme Bildervielfalt überforderte zuweilen den Zuschauer, der versuchte, eine Handlung zu erkennen. Das war wohl auch nicht der Sinn dieser Inszenierung, der rote Faden einer Handlung wird im Irrgarten der Regie unsichtbar.

Suggestive Bilder werden wie am Fließband präsentiert, Bilder, die direkt auf emotionaler Ebene beim Publikum wirken. Unwillkürlich denkt man an ein rotierendes Sushi-Angebot. Ständig wechselnde Auftritte mit verschiedenen Kostümierungen unterstreichen diese Sogwirkung noch. Bustiers, Glitzerkleidung, Cabaret sowie Transgendersymbolik machten es fast unmöglich, selbst die Hauptakteure zu erkennen. Wer sich aber auf diese Show mit emotionaler Bereitschaft einlässt, wird in eine Fantasiewelt getragen, in der alles bunt, grell, geil und erregend ist. Sexuelle Aktionen gibt es vielerlei zu sehen; eine übergroße Vagina ist auf dem Videoscreen minutenlang als Studienobjekt sichtbar.

Viva la musica

Kommen wir zur musikalischen Seite. Die Wiener Symphoniker musizierten unter der Leitung von Johannes Debus mit viel Verve und Virtuosität. Die enorme Vielschichtigkeit der Oper, komponiert mit  großem Farbenreichtum, klingt spannend intensiv, auch wenn die szenische Präsenz das musikalische Ambiente des Werks zu verdrängen versucht. Doch glücklicherweise arbeitet Herheim grundsätzlich, aus der Musik heraus, was dem Publikum letztendlich erlaubt, die totale Unterwerfung an die Szene zu umgehen.

Daniel Johansson als Hoffmann sang manchmal eng an seinen stimmlichen Grenzen, schaffte es aber dennoch, der Titelpartie Wahrhaftigkeit zu verleihen. Das gilt auch für Michael Volle, der selbst als Transvestit noch stimmlichen Glanz verbreiten konnte. Auch die Damen sangen alle durchweg auf hohem Niveau mit viel szenischem Engagement. Herheim ist eben ein Perfektionist - das muss er auch sein, wenn er mit seinem Künstlercredo reüssieren möchte.

Kerstin Avemo war als Olympia und Giulietta ein Augen- und Ohrvergnügen, ebenso Mandy Friedrich als Antonia. Rachel Frenkel war als Muse und Nicklausse zu erleben, auch ab und an aus dem Zuschauerraum heraus überzeugend aktiv. In einer stummen Rolle als Stella war Pär Karlsson ständig zwischen den Welten unterwegs. Es gab auch das Spiel aus dem Zuschauerraum, Buhrufer gehörten zum Konzept. Beim Schlussgesang: 'Groß ist man durch die Liebe, größer noch durch das Leid', wurde es hell im Saal und die Protagonisten deuteten auf die Zuschauer. Das war ein billiger Effekt, der eigentlich nicht zu Herheims künstlerischen Ansprüchen gepasst hat.

Diese Inszenierung lässt keine Langweile zu, ist musikalisch auf hohem Niveau und handwerklich vom Regieteam brillant aufgebaut. Ob man das nun sehen muss, sollte jeder Interessierte selbst für sich entscheiden. Herheims Motivation - laut Programmheft - ist es auch, das kollektive Bewusstsein zu steuern und die Erwartungen der Zuschauer zu beeinflussen. Nun denn, wenn das nur so einfach wäre.

 

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Kritik von Midou Grossmann



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Hoffmanns Erzählungen: Phantastische Oper in fünf Akten

Ort: Festspielhaus,

Werke von: Jacques Offenbach

Mitwirkende: Johannes Debus (Dirigent), Stefan Herheim (Inszenierung), Wiener Symphoniker (Orchester), Kerstin Avemo (Solist Gesang), Michael Volle (Solist Gesang)

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