
Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo II
Bach am Meer
Die Konzerte des Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo finden häufig an ungewöhnlichen Orten statt. Nicht nur die Dörfer im gebirgigen Hinterland von Monaco oder an der Cote d'Azur werden zu Aufführungsorten, sondern ebenfalls Orte innerhalb von Monaco. Dazu gehört das 1889 durch Fürst Albert I. erbaute Ozeanographische Museum. Tagsüber wird der in die Felsenklippen über dem Meer hineingehauene Prunkbau von Touristen frequentiert, wegen der an exotischen Fischen reichen Aquarien, der großen historischen nautischen Sammlung und der atemberaubenden Sicht auf Monaco von der Dachterasse. Auch die Nähe zum Fürstenpalast und der Altstadt lockt Besucher in den steil über der See aufragenden Bau. An diesem Abend jedoch gelangt im prächtigen Versammlungssaal mit dem Wappen der Grimaldi auf zweifache Weise Johann Sebastian Bach zum Gehör. Einmal durch die Sicht des 21. Jahrhunderts, aus der Perspektive des deutschen Komponisten Wolfgang Schöllhorn (geb. 1962), der auch anwesend war, und einmal im "Original" auf einem Tasteninstrument, hier dem Steinway-Konzertflügel.
Als Komponist hat Festival-Intendant Marc Monnet ein Händchen für die Kombination bewährter Werke mit unbekannter zeitgenössischer Musik. Und tatsächlich vermittelte 'Anamorpheses pour Ensemble' einen neuen Blick auf Bachs großes, unvollendetes Mysterium 'Die Kunst der Fuge' BWV 1080. So beziehen sich die Satzüberschriften bei Schöllhorn direkt jeweils auf die Bachschen Fugen und Kanons. Das portugiesische Remix Ensemble Casa da Musica unter Peter Rundel war neben solistischen Streichern und Konzertflügel mit gedämpfter Tuba, gedämpfter Trompete und Akkordeon besetzt. Gerade letzteres vermittelte in den rascheren und flirrenderen der insgesamt acht Sätze ein geradezu argentinisches Tangoflair. Schöllhorn entfernt sich dabei nie soweit von Bach, dass der Bezug nicht mehr erkennbar wäre. Wenn sich die in Fragmente aufgebrochenen Bewegungen von Bach entfernen, geschieht dies höchtens tastend. Dass die 'Kunst der Fuge' als Folie im Hintergrund stets sichtbar bleibt, machte die Sache darum interessanter als manches anderes Experiment, das den Prätext oft nur als Behauptung im Namen trägt, den hörbaren Beweis aber schuldig bleibt. So spielt der erste Satz deutlich mit den Bestandteilen des Themas und seinen Varianten, während bereits der zweite eine ganze Sphäre aus hohen Haltetönen entfaltet. Auch wenn die Vorbilder jeweils direkt genannt werden, entsteht doch auch der Eindruck, dass hier Bachs logische, überwiegend horizontal gehörte Fugenstrukturen in klangsinnlich erfahrbare Zustände überführt werden. So vollzieht sich gleichsam ein Wechsel des Aggregatszustandes, der das klangliche Potential der 'Kunst der Fuge' zum Vorschein bringt. Eine Leistung, die nicht zuletzt dank der Interpreten beeindruckte.
Ungewöhnliche Ausmaße nahm der Abend auch rein von der zeitlichen Länge ein. Die Konzerte beginnen hier eine halbe Stunde später als in Deutschland, um 20:30h. Als Célimène Daudet um kurz vor Mitternacht die Bühne verließ, war nicht nur ein spürbarer Kraftakt vollbracht, sondern ebenfalls ein kleiner Kosmos durchschritten. Die direkte Nähe zum Mittelmeer veranschaulichte zusammen mit der schier endlosen Fugenwelt auf schon fantastische Weise den Spruch Beethovens: "Nicht Bach, Meer sollte er heißen." Daudet führte konsequent souverän durch die kontrapunktisch dichtesten Sätze, wobei ihr bei einer staunenswerten Deutlichkeit, auch in der Motorik nicht eine unklare Formulierung passierte. Ihre Deutung der 'Kunst der Fuge' auf dem Steinway war im besten Sinne zeitlos zu nennen. Als mitten im letzten Satz, dem 'Contrapunctus XIV', die Musik abbrach, war die Schockwirkung perfekt.
Kritik von Dr. Aron Sayed
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Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo: Die Kunst der Fuge
Ort: Musee Oceanographique,
Werke von: Johannes Schöllhorn, Johann Sebastian Bach
Detailinformationen zum Veranstalter Printemps des Arts de Monte-CarloDieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
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