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Mittwoch, 29. November 2023

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Szenenfoto Manon Lescaut, Copyright: Monika Rittershaus

Szenenfoto Manon Lescaut, © Monika Rittershaus

Puccinis 'Manon Lescaut' in Baden-Baden

Liebe in Zeiten des Krieges

Dieser verflixte vierte Akt. Er ist für alle Inszenierungen von Puccinis 'Manon Lescaut' eine Hürde. Schon bis dahin erlebt man eine Reihe von Tableaus, bei denen sich an unterschiedlichen Handlungsorten die komplexe Innenwelt der Protagonistin offenbart, ohne die Handlung wirklich voranzutreiben. Doch der letzte Akt will als Summation des Voranstehenden nur schwer taugen. Wollte man an das 1893 uraufgeführte erste Erfolgswerk des italienischen Komponisten Schumanns Messlatte, dass die rechte Kraft des Schlusses für die Totalwirkung entscheidend sei, anlegen, so käme man zu einem getrübten Urteil.

Sir Richard Eyre suchte in seiner bei den Osterfestspielen im Baden-Badener Festspielhaus in Premiere gegangenen Inszenierung diese Hürde mit einem beherzten Sprung zu meistern: Er verlegt die Handlung ins besetzte Frankreich der 1940er Jahre. Als Sinnbild der (angeblichen) Wüste Louisianas, wie es das Textbuch vorgibt, verwendet er eine kriegszerstörte Trümmerwüste, in der zuschanden gegangene Elemente des (bis aufs Prunkgemach im goldenen Käfig von Manons vermögendem Weibsbesitzer Geronte de Ravoir) aschgrauen Szenariums der ersten beiden Akte (Bühnenbild Rob Howell) erkennbar werden. Das schafft Einheit, wo man sie bei Puccini vergeblich sucht – aber richtig zündend ist der Regiekniff nicht, der ästhetische Mehrwert ist gering.

Ihre stärksten Momente hat Richard Eyres Inszenierung schon im ersten Akt, insbesondere in der Verlebendigung der Menge (Studenten, junge Frauen). So richtig geht die Deutung der Handlung vor dem Hintergrund der Besatzung nicht auf, doch gibt es eine wirklich bezwingende Szene, wenn der vom Philharmonia Chor Wien (Einstudierung Walter Zeh) agil und auch vokal sehr frisch gestaltete Pulk sich zur juvenilen Proklamation der Freuden des Lebens zusammenrottet. Gegen eine solche Front der Lebenslust haben die patrouillierenden Soldaten wenig auszurichten; kein Wunder, dass sie nervös werden. Überhaupt ist Eyres Regiearbeit in der Bewegung der Volksmengen am besten, in der Personenführung aber mitunter schwach. Da wird schon mal auf Verlegenheitslösungen und Gesten aus der Mottenkiste des Opernalltags zurückgegriffen.

Puccinis 'Manon Lescaut' lebt von der Intensität der gedrängten Szenen, doch wenn diese Momente nicht mit dramatischer Spannung erfüllt werden, geht vieles verloren. So bleibt beispielsweise die bewaffnete Konfrontation von Des Grieux und Kapitän im dritten Akt unglaubwürdig und spannungsarm; die herzergreifende Bitte des Liebestrunkenen lässt sich nur durch einen Kniefall ein wenig intensivieren. Vor allem aber sind es die Begegnungen von Manon und Des Grieux, die nicht so recht zünden wollen, weil sich knisternder Eros zwischen beiden kaum einstellt. Es lässt sich Des Grieux schwer abnehmen, dass er sich beim Anblick der Manon augenblicklich und unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlt.

Das mag auch daran liegen, dass Eva-Maria Westbroek in Brünnhildengestalt von Anfang an so auftritt, als sei die hier in Marilyn-Monroe-Nähe gerückte Manon eine gestandene Frau im vollen Bewusstsein ihrer Reize. Aber bis ins letzte ausgespielt wird dies nicht; dazu passt auch Des Grieux‘ fast verhaltene Reaktion. Liebesfunken sprühen nur zaghaft. Das gilt auch für die vokale Seite. Der gesamte Abend schien von Eyres versuchter Vereinheitlichung angesteckt. Massimo Giordano spiegelte die wunderbaren Brokatfarben der von Simon Rattle zu farbenreichem Spiel angeregten Berliner Philharmoniker und verlegte sich auf die lyrische Seite. Das ließ seine vokalen Möglichkeiten in bestem Licht erscheinen, allerdings auf Kosten wirklicher Strahlkraft in der Höhe und emotionsgesättigter breiter Linie. Eva-Maria Westbroek schien zu Anfang noch ein wenig vorsichtig und steigerte sich bis zu ihrem Schluss-Monolog. Am überzeugendsten gelangen ihr die eingedunkelten Momente wehmütiger Rückschau, die sich ohnehin wie ein Flor über die gesamte Handlung legt, bis im vierten Akt die Musik fast nur noch aus Erinnerungsmotiven besteht. Lester Lynch trat als Lescaut recht polternd und unflexibel auf, fand aber später zu etwas mehr Linie, während Liang Li den Steuerbeamten Geronte de Ravoir mit der fülligen Tiefe eines alternden Fraueneigners ausstattete. Erfreulich waren indes neben dem hell timbrierten und beweglichen Bogdan Mihai auch Nebenrollen wie Ballettmeister (Kresimir Spicer) und Sänger (Magdalena Kožená).

Aber letztlich war es doch – und passt wunderbar zur Zentralstellung des Orchesters in den Osterfestspielen – das Orchester, das alles überstrahlte, wäre das Bild des Strahlens hier nur angebracht. Tatsächlich aber waren es die seidenen, leicht matten Farben, die Rattle in unzähligen Timbres zum Leuchten brachte. Zuweilen konnte man sich in den reizvoll sämigen Klangbändern an Orgelklänge erinnert fühlen, ehe sich die Bläserfarben in das Klangfarbengemisch einbrachten. Unbedingt positiv hervorzuheben ist, dass Rattle (mit nur wenigem Klappern zwischen Chor und Orchester) zu einer agogisch schmiegsamen Lesart fand, die ohne emotionalen Überdruck die ganze instrumentatorische Pracht ausbreitet, aber trotzdem den immer wieder zur Oberfläche drängenden Parlando- und (im ersten Akt) Buffo-Ton voll zu seinem Recht kommen ließ. Besondere Hervorhebung verdient dabei die wendige Gestaltung der Bässe, die das gesamte Klangbild trugen.

Dass dieser Abend vor Spannung nicht eben knisterte, machte sich beim wohlwollenden Schlussapplaus bemerkbar, der keinen der Beteiligten durch Jubelstürme heraushob – auch hier eine Art von Vereinheitlichung, die wie eine Art Mantel das gesamte Geschehen bestimmte.

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Kritik von Dr. Tobias Pfleger

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Puccini: Manon Lescaut: Dramma lirico in vier Akten

Ort: Festspielhaus,

Werke von: Giacomo Puccini

Mitwirkende: Sir Simon Rattle (Dirigent), Berliner Philharmoniker (Orchester), Eva-Maria Westbroek (Solist Gesang), Massimo Giordano (Solist Gesang), Liang Li (Solist Gesang)


Presseschau mit ausgewählten Pressestimmen:

Die Nahaufnahme einer großen Liebenden
Glück mit Puccini
(Die Welt, )

Liebe, Luxus und Gier
«Manon Lescaut» feiert Premiere in Baden-Baden
(neue musikzeitung, )

Unter deutscher Besatzung
„Manon Lescaut“ in Baden-Baden
(Stuttgarter Zeitung, )

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