Valentina Lisitsa im Rheingau
Vom Internet in die großen Konzertsäle
Pianistin Valentina Lisitsa ist momentan ein Liebling der Medien, soll sie doch auf einer amerikanischen Internet-Videoplattform entdeckt worden sein. Doch ihre Karriere verlief wohl etwas weniger glamourös und beinhaltete sicherlich viel, viel Arbeit. Ihr erstes Video stellte sie 2007 auf die Internet-Plattform, seit 2010 spielt sie in den bekannten Konzertsälen weltweit. Heute soll sie angeblich über 56 Millionen "Klicks" verzeichnen sowie fast 90.000 Abonnenten.
Im Rahmen des Rheingau Musik Festival war sie jetzt auf Schloss Johannisberg zu erleben. Sie spielte ein Wunschprogramm, das vom Publikum im Internet ausgewählt wurde. Werke von Beethoven, Chopin sowie Franz Liszt waren mit großem Abstand die Gewinner. Nicht ganz ausverkauft war der Fürst-von-Metternich-Saal, und schon im Vorfeld des Konzerts war ihre Virtuosität ein Gesprächsthema in den Alleen des Weinguts. Pro und Contra hielten sich die Waage. Also war man gespannt auf das Live-Erlebnis, denn bei ihren Auftritten im Internet konnte die Pianistin nicht wirklich überzeugen.
Cosima Wagner und ein weißer Schwan
Während des Konzerts musste ich an ein Zitat von Cosima Wagner denken, als sie über einen Klavierabend in ihrem Berliner Domizil (damals noch Cosima von Bülow) einer Freundin berichtete: "Gestern spielte Rubinstein bei uns, ja, es war grandios und keiner könnte das besser beurteilen als ich, und dennoch muss ich sagen, dass das Klavierspiel von Hans mehr Kraft, mehr Geist und eine viel größere Feinheit besitzt."
Auch dem Spiel von Valentina Lisitsa fehlte mir an diesem Abend die geistige Kraft, die feinen Differenzierungen sowie eine überzeugende persönliche Interpretation. Die Pianistin ist eine hervorragende Technikerin und beherrscht den Flügel auf einem beeindruckenden Niveau. Ihre langen Arme mit den großen Händen versteht sie anmutig zu bewegen und erinnert an einen eleganten weißen Schwan, der geschmeidig seine Kreise zieht. Die ersten Töne (Beethovens "Mondschein-Sonate") bezaubern; da ist Gefühl, Wärme und Ausleuchtung im Spiel zu spüren. Doch nach einigen Minuten entsteht der Eindruck, dass die Künstlerin tiefes persönliches Gestalten einer bestimmten Klangvorstellung unterordnet, wenngleich der Fortlauf des 'Adagio' noch wie eine sanfte Brise auf die Tasten gehaucht wurde. 'Allegretto' und 'Presto agitato' überzeugen dann nicht mehr, man denkt an "Kuschel-Klassik". Das ist (nicht nur) bei dieser Sonate fatal.
Tonaler Kraftakt
Dieser Eindruck verstärkte sich noch bei den acht gebotenen Nocturnes von Frédéric Chopin, wenngleich die Künstlerin lupenreine Klangkaskaden aus dem Instrument hervorzaubert, die durchaus eine gewinnende Atmosphäre schaffen konnten, wenngleich eine stärkere Nuancierung in Form von Tempoabstufungen und dynamischen Akzenten hier eine bewegende Spannung hätte aufbauen können. Ihre Töne klingen perfekt herausgearbeitet, aber wirken leider etwas schwingungsarm. Vielleicht lag das aber auch am Flügel, der mir vom Klang her zu erdig schien.
Nach der Pause dann Liszt. Hier nun konnte Valentina Lisitsa Dramatik zeigen, dachte man. Doch selten habe ich einen so heruntergespielten Liszt gehört. Schon der Auftakt zur Ballade Nr. 2 h-Moll S 171 klang ungenau, dann wurde die Komposition mit einem einheitlichen Pulsschlag gespielt, der ermüdete. Den Bearbeitungen von Verdis 'Aida' von Franz Liszt ('La Danza sacra' und 'Duetto finale') fehlte es wieder an Nuancen und Dynamik. Leider war das auch nicht beim 'Rondeau fantastique sur un thème espangole – El Conatrabandista S 252 zu bemerken. Hier setzte die Pianistin auf den großen Klang, auch mit Pedal, dennoch fehlte das belebende Element. Als Abschluss der 'Totentanz', ein klanglicher Kraftakt, doch keine wirklich eigenständige Interpretation. Schade!
Kritik von Midou Grossmann
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