
Haus für Mozart Salzburg, © Hvplux
Ensemble Intercontemporain in Salzburg
Kitsch und Etüden
Die Mozartwoche Salzburg gibt zeitgenössischen Komponisten ein Forum. Das Orchesterkonzert 26 am 2. Februar 2013 war zur Gänze Neuer Musik gewidmet. Auf Strawinsky folgten Johannes Maria Staud, Olivier Messiaen und Pierre Boulez. Alibihafte Reminiszenzen an Mozart blieben den Hörern erspart. George Benjamin, Ensemble Intercontemporain und SWR Vokalensemble Stuttgart agierten metiersicher. Das Kleine Festspielhaus ("Haus für Mozart") sorgte für Durchblick und schillernde Klänge.
Strawinskys Messe für Soli, Chor und Ensemble ist 1948 zur Uraufführung gekommen. Zu anderen Zeiten wäre ihr das Etikett "postmodern" beigegeben worden, denn in der Substanz ist sie eklektisch. Strawinsky nimmt Maß an Guillaume de Machaut. Die Sakralmusik späterer Epochen, namentlich Mozarts, sei gründlich missraten, weil sinnlich, profan. Durch "Kälte" – und aseptische Instrumentierung – soll die Reinheit frommer Empfindung wiedergewonnen werden. Zwei Bläserquintette werden ins Treffen geführt, bestehend aus Oboen, Fagotten und Englischhorn, aus Trompeten und Posaunen. Antiphonische Wirkungen sind unvermeidbar und gewollt.
Man war agil, erzielte eine hohes Maß klanglicher Mischung. Die Stimmen wurden sinnvoll, homogen, gestaffelt. Das SWR Vokalensemble intonierte genau. Die lateinische Aussprache war untadelig. "Osanna" geriet zum "Hosanna".
Johannes Maria Staud möchte mit allen Kompositionen Neues erwirken. Sie sollen präzise artikuliert, in den formalen Konsequenzen gründlich durchdacht sein. 'Celluloid' lässt das Solofagott "Feuer fangen", sodass es, entflammt, in "virtuos-bizarre Klangwelten aufbricht". Pascal Gallois durfte alle Laute seines Instruments erkunden. Als Etüde für Fagott ist 'Celluloid' gelungen. Ob es ein Ganzes darstellt, bleibt umstritten.
Stauds 'Par ici!' zitiert eine Dichtung Baudelaires, "Die Reise" aus den "Blumen des Bösen": "Hört ihr diese Stimmen, die so düster lockend singen/Hierher! [Par ici!] ihr, die ihr den süßduftenden Lotus essen wollt!" Das "düster lockende" Timbre wird unter anderem durch vierteltönige Fortschreitungen auf dem Klavier hergestellt. An Sirenenklängen fehlt es nicht. Ensemble Intercontemporain brachte "sinfonische" Wirkungen zustande. Mehr als zuvor wurde Zusammenhang hörbar.
Messiaen geht aufs Große und Ganze ("Gott"), auch in bescheiden dimensionierten Werken wie 'Cinq Rechants' für zwölfstimmigen Chor a capella. Mit diesen schließt eine "Tristan-Trilogie", deren Mittelteil als 'Turangalîla'-Sinfonie berüchtigt geworden ist. Laszives und Frommes wallen ineinander. Pater ecstaticus neigt mystischer Übersteuerung zu. Ein Mensch bete "mit seiner Seele, seinem Geschlecht und seinem Gehirn" – für dieses Mal in "pseudo-hinduistischer", fromm-kitschiger Glossolalie. Messiaens bedeutungsschweres Stammeln wurde unerbittlich genau wiedergegeben. Oft hielt man Stimmgabeln ans Ohr, um den Kammerton nicht zu verlieren. Die Solisten gefielen mit Schönheit des Timbres und technischer Vollendung.
Pierre Boulez ist ein Schüler Messiaens, doch frei von dessen Mystizismus. 'Cummings ist der Dichter' für 16 Solostimmen und Instrumente vertont vier Gedichte des volkstümlichsten amerikanischen Avantgardisten. "Mallarmé setzte die Worte auf neue Weise, suchte nach einer veränderten syntaktischen Wortverbindung, aber Cummings dringt in das Vokabular selbst ein […]." Durchdringung der Worte und Klänge ist auch der Ehrgeiz Boulez‘. Ensemble Intercontemporain und SWR Vokalensemble bewerkstelligten eine beispielhaft klare Wiedergabe des schwierigen Stücks. Es waltete gelassene Selbstverständlichkeit des Musizierens – als sei Boulez Mozart.
Kritik von Daniel Krause
Kontakt zur Redaktion
Mozartwoche: Orchesterkonzert
Ort: Haus für Mozart,
Werke von: Igor Strawinsky, Olivier Messiaen, Pierre Boulez
Mitwirkende: SWR Vokalensemble Stuttgart (Chor), George Benjamin (Dirigent), Ensemble Intercontemporain (Orchester)
Detailinformationen zum Veranstalter MozartwocheDieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
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