
Ein Abend mit russischer Musik
Überwältigung und Konsens
Weil sie so von "Herzen zu Herzen" gehe, bräuchte man eigentlich keine Worte und könne sich trotz unterschiedlicher Sprachen allein durch die Musik verständigen – was enorm wichtig sei. So äußerte sich sinngemäß der Dirigent Michail Jurowsky, als er vergangenen Donnerstag im BASF-Feierabendhaus nach Peter Tschaikowskys 'Blumenwalzer' als zweite – und letzte – Zugabe Michail Glinkas Ouvertüre zu 'Ruslan und Ludmilla' ankündigte. Und tatsächlich stimmte hier einfach alles, weil das State Acedemic Symphony Orchestra of Russia diese beliebte Nummer wohl als ein Aushängeschild des russichen Orchsterrepertoires mit sich herumträgt und sie entsprechend mühelos aus dem Ärmel schüttelte: prägant und knackig in der Tongebung, in raschem, aber keinesfalls überhastetem Tempo, als frischer Wirbelwind voller spannungsvoll artikulierter Läufe, der voller orchestraler Brillanz einen Schlusspunkt unter das zweite Konzert aus der Reihe 'The Big Four' setzte.
Nach der im Januar eingeladenen Royal Flemish Philharmonic Antwerpen war diesmal ein Klangkörper zu Gast, der sein Programm vollständig als Lektion zur russischen Musikgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts präsentierte. Ergebnis war ein schönes Konzert, das aber auch nicht sonderlich überraschte – setzte man von Seiten der Interpreten doch auf all jene Elemente, die erfahrungsgemäß Erfolg beim Publikum garantieren: auf die klangliche Überwältigungsstrategie, die sich den Gestus großer Emotionen zunutze macht, und auf eine gut eingespielte Lesart der aufgeführten Werke, die jedweden Anschein von Ungewöhnlichkeit zugunsten einer Konsens-Interpretation verbannte. Und meist ging diese Strategie auch auf, selbst wenn dabei der Klang des Orchesters gelegentlich eine Spur zu stark von den expressiv agierenden Streichern dominiert wurde. Etwas überraschend waren zudem die Intonationsprobleme, mit denen die Bläser immer wieder zu kämpfen hatten.
Immerhin zeigte Jurowsky schon bei Modest Mussorgskys sinfonischer Dichtung 'Eine Nacht auf dem kahlen Berge', wie er mit kleinen und sparsamen, oft gar unscheinbaren Bewegungen überraschende Facetten, etwa die peitschenden Akkorschläge des Anfangsteils, aus den aufmerksamen Musikern herausholen konnte, wobei das Orchester besonders bei der Umsetzung des in zarten Instrumentalfarben verlöschenden Schlussabschnitts überzeugte. Solche Momente von kammermusikalischer Dichte prägten zumindest auch einige Passagen aus Igor Strawinskys 'Feuervogel'-Ballettsuite von 1919, während andere Stellen wie etwa die 'Introduction' mitunter den filigranen Zugang vermissen ließen. Am stärksten war das Orchester aber dort, wo es seine rhythmische Präzision als Stärke ausspielen oder, wie im Finale, im Tutti die immer wieder hinausgezögerte Schlusssteigerung entfalten konnte.
Dass die Interpreten alles daran setzten, Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 zum Höhepunkt des Abends zu formen, versteht sich bei einem solchen Programm fast von selbst. In vielerlei Hinsicht gelang dies auch: Zwar hätte man sich noch weitaus stärkere dynamische Kontraste gerade innerhalb des Kopfsatzes vorstellen können, doch nahmen hier etwa die dahinströmende Kantilene des lyrischen zweiten Themas und dessen stufenweise verlöschende Rekapitulation durch die Klarinetten vor der Durchführung sehr für sich ein. Gelungen war auch der leicht melancholische, aber dennoch voller Eleganz steckende Tonfall des zweiten Satzes, während der anschließende Marsch ins Leere zu laufen drohte, weil die Steigerungen zu rasch ins Forte gerieten und die daraus resultierende affirmative Stimmung zu undiffenziert über längere Strecken beibehalten wurde. Mit dem 'lamentoso'-Finale schafften Dirigent und Orchester jedoch den Brückenschlag zurück zum stockenden Beginn des Kopfsatzes und beschlossen ihre Darbietung mit einer Konzentrationspause, die glücklicherweise niemand durch vorzeitigen Applaus zu stören wagte.
Kritik von Prof. Dr. Stefan Drees
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The Big Four: State Academic Symphony Orchestra of Russia
Ort: BASF Feierabendhaus,
Werke von: Modest Mussorgsky, Igor Strawinsky, Peter Tschaikowsky, Michail Glinka
Mitwirkende: Michail Jurowski (Dirigent)
Detailinformationen zum Veranstalter BASF Kunst & KulturDieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
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