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Konzerthaus Berlin, © Ansgar Koreng
Ein Fest für Heinrich Schiff in Berlin
Spontanes Festprogramm
Die Feier musste oftmals umgeplant werden, veränderte oft ihr Gesicht. Aus dem Fest mit Heinrich Schiff zum 60. Geburtstag des österreichischen Meistermusikers wurde zunächst ein Fest für Heinrich Schiff. Da der Cellist aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, sprang sein Schüler Julian Steckel ein, um mit dem Pianisten Martin Helmchen und der Klarinettistin Sharon Kam einen Kammermusikabend zu spielen, angereichert zudem um eine Lesung von Wolf Wondratschek. Die Umbesetzung war schon einige Zeit bekannt gewesen. Allerdings änderte sich spontanerweise auch noch das Konzertprogramm. Statt Johann Sebastian Bachs Cellosuite in G-Dur erklangen nun Alban Bergs 'Vier Stücke für Klarinette und Klavier' op. 5 und Arnold Schönbergs 'Sechs kleine Klavierstücke' op.19. Durch diese Änderung ergab sich für den ganzen Abend ein schlüssiges Programm, folgten doch planmäßig Anton Weberns 'Drei kleine Stücke für Cello und Klavier' op.11 und Claude Debussys Cellosonate d-Moll.
Die drei Werke der Zweiten Wiener Schule entfalteten ihre überwältigende Sprödigkeit vor allem durch intensive Farbwerte, die Kam und Steckel setzten. Kams kehliger, runder Klarinettenton überzeugte sowohl im flirrenden dritten als auch im matt abgetönten zweiten Stück. Hier war große Zurückhaltung; erst mit dem letzten Stück entfesselte sich eine unwirsche Energie. Auch bei Webern zog zunächst eine tiefe Konzentration herauf, mit kargen Klängen, mit prägnanten Ereignissen. Besonders die Qualität von Steckels Ton sorgte hier für Momente, die trotz der rätselhaften Verkopfung und Rechnerei dieser Musik den hohen Wert sinnlicher Lust und Unwiederholbarkeit ausstrahlten.
In Debussys Cellosonate schien Helmchen etwas den Schneid und die Schelmerei des Stückes zu bremsen, die so oft in der Interpretation des Werkes von Steckel und seinem Klavierpartner Paul Rivinius aufblitzt, aber die farbschwere Andacht des Stückes (ein kurzsichtiger, nachdenklicher Blick auf die Herrlichkeit des flirrenden Baumgartens) kam doch ungebremst zur Geltung. Der Übergang vom zweiten zum dritten Satz gelang schwebend, vollmundig – auch wenn hier naturgemäß keine Kammermusikformation zu hören war, die viel Muße und Zeit gehabt hatte, um eine völlige Legierung herbeizuüben.
Nach der Pause las Wolf Wondratschek mit seiner herrlichen, dunkel knarrenden, dramatisch plastischen Stimme aus seiner Erzählung "Mara", die Musikerschicksal und -begebenheiten aus der Sicht des Stradivari-Cellos erzählt, das sich derzeit und schon seit Längerem im Besitz Heinrich Schiffs befindet. Wondratscheks fesselnder Vortrag dieses schlauen, pointen-, finten- und gedankenreichen Textes schloss mit einem Monolog des Cellos selbst: über die Veränderung der Musik, die lange Kette der Besitzer, die Spannung auf das Kommende. Musik ertönte auch im Anschluss noch einmal, namentlich Brahmsens Klarinettentrio a-Moll op.114.
Als Leitwort, als Horizont für das Erlebnis des Trios konnte aber ein Satz gelten, der in der Lesung gegen Anfang gefallen war, die Aussage eines ideosynkratisch-genialischen Professors: "Kümmert euch nicht um das Unverstandene, kümmert euch um das Unverstehbare!" Während die drei Musiker eine quälende Sehnsüchtigkeit zu entfesseln verstanden, mischte sich dieser Aufruf unversehens mit anderen Aphorismen der Weite, wie sie diese Musik aufschließen konnte: dass man nicht mehr begreifen kann, was einen ergreift, wenn man die Sehnsucht nach etwas fühlt, das man nicht benennen kann. Das Stück strahlte einen herbstlichen Glanz aus, besonders der Beginn des dritten Satzes lag in einem goldstichigen Licht, während im Schlusssatz Vehemenz herrschte - aber nicht messbar in Dezibel. Zuweilen waren es dann gerade die zarten, leisen Passagen, die den grimmigsten, härtesten Nachdruck entwickelten, um sich dann zu einem fülligen Forte aufzugipfeln. O wunderbarer Nachtgesang.
Kritik von Tobias Roth
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Herzlichen Glückwunsch, Heinrich Schiff!: Berg, Schönberg, Webern, Debussy, Brahms
Ort: Konzerthaus,
Werke von: Alban Berg, Arnold Schönberg, Anton von Webern, Claude Debussy, Johannes Brahms
Mitwirkende: Martin Helmchen (Solist Instr.), Sharon Kam (Solist Instr.), Paul Rivinius (Solist Instr.)
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