Erstes Konzert des Gstaad Festival Orchesters
Ein neues Orchester – für Gstaad und die Welt
Mit dem 54. Jahrgang ist das ohnehin renommierte Sommerfestival im Berner Oberland um eine Attraktion reicher. Ganz im Sinne des Gründers Sir Yehudi Menuhin ist es die Magie des Ortes, an der unterschiedliche Arten der Musik und des Musizierens, Menschen, die hier seit Generationen wohnen, andere, die sich hier nieder gelassen haben oder nur für kurze Zeit als Touristen hierhergekommen sind, zu Erlebnissen der besonderen Art zusammenführt. Das Festival ist aber nicht nur ein Ort des Genusses. Junge Musikerinnen und Musiker und Erwachsene, die sich freizeitmäßig ihren Instrumenten widmen, können sich hier in speziellen Orchesterkursen fördern lassen und ihren Vorbildern in Proben und Konzerten sehr nahe sein. Eigens dafür wurde die Amateur- und Jugendorchesterwoche ins Leben gerufen. Junge Musiker, die sich entschlossen haben, aus der Begabung einen Beruf zu machen, finden sich in Meisterkursen zusammen, in diesem Jahr dürften die Sängerinnen und Sänger zu Cecilia Bartoli pilgern. Das Herz des Festivals bleibt aber die hochkarätige Kammermusik in der Kirche zu Saanen als Hauptveranstaltungsort und in den vielen idyllisch gelegenen Sakralbauten dieser Landschaft „zwischen Himmel und Erde“, so auch das Festivalmotto dieses Jahres.
In den größten Veranstaltungsort, dem in die Landschaft integrierten und gerade großzügig sanierten und veredelten Festzelt mit überraschend guter Akustik, lockte das erste Konzert des neu gegründeten Festival Orchesters weit über 1500 Musikfreunde. Ein großes Konzert, dem Ereignis angemessen - festlich, virtuos, populär und weithin einladend in der Programmwahl -, und dennoch oder gerade daher eine Herausforderung an die Interpreten. Das Fundament des Klangkörpers bilden die exzellenten Streicher des Kammerorchesters Basel; dazu kommen die Kollegen der renommierten Schweizer Orchester und in Einzelfällen auch aus Berlin, Rom oder Leipzig sowie Studenten der International Menuhin Music Academy. Maxim Vengerov kam die Ehre und Verantwortung zu, diese Musiker zusammenzuführen, eine künstlerische Grundfarbe zu geben und mit einem Programm anzutreten, das dem Anlass ebenso geschuldet ist wie der Begründung einer Tradition. Ein Residenzorchester wird es nicht sein, programmatisch und künstlerisch wird man sich jährlich neu finden. Nach dem russischen Auftakt mit Vengerov am Pult und Nikolai Tokarev am Klavier kündigt Kristjan Järvi als Dirigent des nächsten Jahres ein amerikanisches Programm an.
Zudem soll das Orchester ein Botschafter des Gstaad Festivals sein und jeweils von da aus das Programm andernorts vorstellen. An verschiedenen Orten erklingt Maxim Vengerovs Hommage an seine russische Heimat. Sie beginnt ausgesprochen feierlich mit der selten zu hörenden Ouvertüre 'Große russische Ostern' von Nikolai Rimsky-Korsakow, ein ausgesprochen weihrauchgeschwängertes Werk von üppiger Instrumentierung. Folkloristische und liturgische Motive vermischen sich in österlichem Freudenjubel. Für das Orchester eine gute Möglichkeit, die Tugenden der Instrumentengruppen einzeln und im Zusammenspiel zu präsentieren. Weitaus differenziertere Möglichkeiten werden sich im Finale bieten, bei Modest Mussorgskis 'Bilder einer Ausstellung', instrumentiert von Maurice Ravel. Mag sein, dass der Dirigent hier deshalb sehr bewusst und exakt die einzelnen Teile des Zyklus voneinander absetzt, solistische und kammermusikalischen Passagen in sehr helles Licht setzt und unnötiges Auftrumpfen beim begeisternden Zusammenklang des Orchesters vermeidet - was am Ende aber beste Eindrücke plastischen und farbreichen Musizierens hinterlässt.
Bei Tschaikowskys bekanntem Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll konnte Vengerov mit den Musikern zur ganz großen, schwelgerischen Geste auffahren. Keine Gefahr der Sentimentalität, denn der wahrhaft satte und gediegene Streicherklang ermöglicht gefühlvolles und schwelgerisches Musizieren, ohne die Grundierung unerlässlicher Sachlichkeit zu verlieren. Der Solist Nikolaj Tokarev, knapp eingesprungen für den angekündigten Fazil Say, erweist sich als Glücksfall. Er trifft die tänzerische Eleganz des ersten Satzes, die Verträumtheit der elegischen Passagen im zweiten und den fulminanten Gestus im virtuosen Finalsatz. Den jugendlichen Impetus ungestüm zu nennen, wäre unangemessen, denn es gibt immer wieder Momente verträumten Innhaltens, vielleicht ist sein so virtuoses wie nachdenkliches Spiel der Widerklang einer modernen, romantischen Empfindung. Das Festival-Orchester als „Begleitorchester“ besteht seine Feuerprobe auf Anhieb. Als Zugabe spielt Nikolai Tokarev jazzig und virtuos, augenzwinkernd und humorvoll in einer pfiffigen Improvisation Tschaikowskys kleinen Schwänen großartig zum Tanz auf. Im Auftrag des Festivals komponierte Daniel Schnyder sein Werk 'Himmelsleiter', das der 1960 geborene Komponist eine symphonische Meditation nennt. Es ist eher ein knappes, festlich präludierendes Werk mit einer Abfolge geschickt gesetzter Crescendi, vornehmlich für das ganze Orchester
Am Ende dann, als Verneigung vor dem musikalischen Geist des Ortes und würdevollem Abschluss, vertauscht Maxim Vengerov den Stab des Dirigenten mit dem Bogen, um mit der von ihm zu erwartenden instrumentalen Sanglichkeit eine 'Romanze' Beethovens mit dem soeben ins internationale Musikleben entlasseneGstaad Festival Orchesters zu spielen.
Kritik von Boris Michael Gruhl
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54. Menuhin Festival, Festival-Zelt-Gstaad: Gstaad Festivalorchester
Ort: Kapelle Gstaad,
Werke von: Nikolai Rimsky-Korsakow, Modest Mussorgsky, Peter Tschaikowsky
Mitwirkende: Maxim Vengerov (Dirigent), Maxim Vengerov (Solist Instr.), Fazil Say (Solist Instr.)
Detailinformationen zum Veranstalter Menuhin FestivalDieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
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