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Konzerthaus Berlin, © Ansgar Koreng
Ein Konzert für Boris Pergamenschikow
Gedächtnis mit Leidenschaft
Dem Gedächtnis des großen Cellisten Boris Pergamenschikow, der am 30. April 2004 in Berlin verstarb, wurde ein Schumann-Abend im Berliner Konzerthaus gewidmet – die Konzentration der klassischen Musik auf die Werke und Tage der Toten schlug da in eine andere Richtung aus, als es sonst diese Kunst bestimmt. Aber dass gerade diese Kunst der Musik, und auch ihr grundsätzlich gedenkender Rahmen die Fähigkeit hat, das Vergangene zu aktualisieren und das passive Erinnern in aktives Gedenken umzuwandeln, wurde von der Präsenz der Künstler und der Anteilnahme des Publikums bestätigt. Schüler und Weggefährten, in diesem Sinne Wahlverwandte Pergamenschikows spielten Kammermusik Robert Schumanns. In besetzungsmäßig aufsteigender Linie wurden das Klaviertrio g-Moll op.110 (Henri Sigfridsson, Priya Mitchell und Nicolas Altstaedt), das Klavierquartett Es-Dur op.47 (Martin Helmchen, Stephan Picard, Guy Ben-Ziony und Claudio Bohórquez) und das Klavierquintett Es-Dur op.44 (Lars Vogt, Priya Mitchell, Stephan Picard, Tatjana Masurenko und Julian Arp) geboten. Diese recht glatte Gliederung wurde von Martin Helmchen und Danjulo Ishizaka angereichert, die Schumanns 'Adagio und Allegro' op.70 spielten (eine Originalkomposition für Horn und Klavier, auf die die Cellisten bereits feste Erbrechte besitzen).
Von einer aufsteigenden Linie war die Rede, und diese lässt sich wiederholen, auch wo es nicht um die Ensemblegröße geht. Grund hierfür war vor allem der nachlassende Hochdruck, die mehr und mehr sich einstellende Gemessenheit in den Interpretationen der Kammermusikformationen. Das g-Moll-Trio wurde als großes tragisches Gebäude aufgebaut, vom Pathos schwere Wechselfälle stürzten sich von Höhepunkt zu Höhepunkt, was das Ganze, aber insbesonders den Kopfsatz in Episoden zerfallen ließ. Wo einerseits die schiere - und auch gekonnte - musikalische Kraftentladung überwältigte, stellte sich oft der Eindruck ein, dass Schlaglichter, die der Komponist bereits deutlich gesetzt hat, von der Interpreten zusätzlich so pointiert ausgeleuchtet wurden, dass Detail und Abschattung kaum mehr zu sehen waren. Im Klavierquartett und -quintett klärte sich das zusehends. Was nicht heißen soll, dass es glatt und abgeklärt wurde; den titanischen, vulkanischen (noch immer schwebt die Assoziation über uns) Gesten Schumanns, „die vernichtende oder unendliche Idee des Humors“, all das wurde mit gehöriger Kraft und direktem Schub versorgt (um den Brauch fortzusetzen, dass verstreute Fetzen des großen und ungelesenen Jean Paul wenigstens noch in Schumann-Programmzetteln oder -Rezensionen das Auge der Welt erblicken; bald geht es ihm wie Wilhelm Müller).
Schumanns Kammermusik ist reich (verschwenderisch) an Situationen, Umschwüngen, tief fluchtenden Augenblicken – die Rezension kann hier vollends nur Probebohrungen beschreiben, um die grundsätzliche Qualität des Abends und jeder Formation des Abends im Einzelnen anzudeuten. Unbedingt Erwähnung finden muss hier der zweite Satz des Quintetts, 'in modo d'una marcia' überschrieben. Die fünf Musiker gestalteten diesen im wahrsten Sinne un-heimlichen Satz zu einem fulminanten Wechsel von verhallender Beklemmung im Thema, tiefer Beruhigung in jenem Zwischenteil, dessen Schönheit einen fast schmerzlichen Kontrast liefert („gib mir Honig!“), und schließlich einem feierlichen, herb und festlich inszenierten Trotz, in dem sich die genannten Kontraste gerade nicht zur Synthese führen lassen – mit der erlösenden Klausel, dass es im Reich der Kunst und Musik doch einen stimmigen, geschlossenen, verheilten Ablauf ergibt, der zudem quer durch die Zeit stechen kann.
Kritik von Tobias Roth
Kontakt zur Redaktion
In memorian Boris Pergamenschikow: Musikforum Gendarmenmarkt
Ort: Konzerthaus,
Werke von: Robert Schumann
Mitwirkende: Martin Helmchen (Solist Instr.), Henri Sigfridsson (Solist Instr.), Lars Vogt (Solist Instr.)
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"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.
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