
Rosemary Joshua und Johann Sonnleitner in Innsbruck
The tuneful voice of England
Über Innsbruck tobte ein heftiger Föhnsturm, als sich das Publikum in Erwartung eines Sturmes der Gefühle und Leidenschaften im wunderbaren Spanischen Saal von Schloss Ambras einfand: Zwei dem Stammpublikum der Innsbrucker Festwochen bestens bekannte Künstler schickten sich an, ihre musikalische Partnerschaft zu zelebrieren: Die walisische Sopranistin Rosemary Joshua und der österreichische Clavierist (‘Clavier’ hier im historischen Sinne als Sammelbegriff für Tasteninstrumente aller Art...) Johann Sonnleitner. Das Programm versprach Ungewöhnliches: Purcell kombiniert mit Haydn; man durfte gespannt sein, wie sich die Songs DES englischen Komponisten schlechthin neben den englischsprachigen Canzonetten des der englischen Sprache nur rudimentär mächtigen Österreichers Haydn ausmachen würden.
Great expectations
Von Purcell wurde neben veritablen Klassikern wie ‘Sweeter than roses’ und ‘If music be the food of love’ erfreulicherweise auch weniger Bekanntes geboten, wie das pathetische ‘Not all my torments’ und das düstere ‘The fatal hour’. Die Welt der weltlichen Sololieder Purcells ist musikalisch und stimmungsmäßig bunt, aber eines haben sie gemeinsam: Sie sind alles andere als leicht zu singen. Die musikalischen und gestalterischen Anforderungen an die Interpretin oder den Interpreten sind vielfältig. Das Repertoire ist im Plattenkatalog stark vertreten, einige Einspielungen sind erstklassig – Frau Joshua und Herr Sonnleitner mussten sich also einen Vergleich mit bedeutenden Konkurrenten gefallen lassen.
Aus den Canzonetten Haydns wählten die Sängerin und ihr Begleiter sieben Stück aus, darunter vergleichsweise populäre wie ‘The mermaid’s song’ und ‘A pastortal song’, aber auch unter anderem das viel zu selten berücksichtigte Meisterwerk ‘The spirit’s song’. Die anmutigen Gesänge sind voller musikalischer Schönheiten und typisch Haydnischer Einfälle, die erst durch eine wirklich hervorragende Interpretation recht zur Geltung kommen. Wie begegnete das Künstlerpaar dieser Herausforderung?
Sense and Sensibility, vol. I: Purcell
Das künstlerische Credo von Rosemary Joshua scheint zu sein: ‘Natürlichkeit über alles’. Ihr Sopran ist klar und vibratoarm, die Palette der Stimmfärbungen und dynamischen Abstufungen breit. Extreme meidet sie – sie singt auch noch schön, wenn sie laut ist. Auf dem Podium wirkt sie etwas distanziert – mir war das sympathisch, denn sie vermied jeglichen Schmalz und die häufig anzutreffenden Fuchteleien. Technisch gibt es an Frau Joshuas Darbietung überhaupt nichts auszusetzen: Die Läufe kommen hundertprozentig sicher daher. Die Passagen in Purcells Liedern sind oft genug rhythmisch oder melodisch eigenwillig (mit einem schönen englischen Wort ‘awkward’): die Sängerin meisterte sie mühelos. Besonders vermochte ihre Fähigkeit zu beeindrucken, zwischen verschiedenen Affektebenen zu wechseln, wie etwa in ‘If music be the food of love' Die Zugabe zum ersten Teil des Konzertes war ein anderer Hit aus Purcells Feder – ‘Music for a while’. Ein echtes Highlight! Mit der intensiven und genauestens abgestuften Interpretation dieses herrlichen Liedes hat mich Rosemary Joshua endgültig überzeugt, nachdem ich vorher hie und da überlegt hatte, ob nicht eine Portion mehr Einsatz angebracht gewesen wäre.
Johann Sonnleitner spielte am Cembalo seine ganze Erfahrung und Kompetenz aus, agierte als flexibler und höchst einfühlsamer Partner ohne Allüren. Die Werke Purcells boten ihm wenig Gelegenheiten zur Profilierung, aber viele zur Demonstration seiner Fähigkeit zum Musizieren im völligen Einklang mit der Sängerin.
Sense and Sensibility, vol. II: Haydn
Als hätte der Föhnwind, der in der Pause orkanartige Böen entwickelte, die Lebensgeister der Sängerin angefacht (und/oder meine?): Der zweite Teil wirkte auf mich noch überzeugender. So natürlich und überzeugend habe ich die Haydn-Canzonetten noch nie gehört. Oft genug neigen Sängerinnen zum Beispiel dazu, die Rufe ‘Follow me!’ in ‘The mermaid’s song’ herauszuschreien – bei Joshua/Sonnleitner kamen sie dynamisch fein abgestuft daher. Oder die melodische Perle ‘A pastoral song’ – Frau Joshua sang herzrührend schlicht. Ihr Begleiter Johann Sonnleitner lieferte indes wahre Höhenflüge: Die witzigen Einleitungen und Zwischenspiele entfaltete er in ihrem ganzen Charme. Man konnte Haydns kindliche Freude an unregelmäßigen Phrasenlängen und unerwarteten Wendungen ebenso erspüren wie seine tiefe Zuneigung, ja Liebe zu der Textdichterin und Widmungsträgerin Anne Hunter. Wahrhaftig erfühlt klang die Interpretation des berührenden Abschiedsgesangs ‘O tuneful voice’ – das Duo Joshua/Sonnleitner machte deutlich, dass wir es hier und bei den anderen Kompositionen mit großen Meisterwerken zu tun haben und nicht mit gefälligen Kleinigkeiten. Der Funke sprang auf das Publikum über – es erklatschte sich zwei Zugaben: ‘She never told her love’, jenes Lied, in dem das Klavier das zu sagen scheint, was die Sängerin verheimlicht (wunderbar gesungen und gespielt) sowie ein Dacapo des ‘Pastoral songs’. Minutenlanger Applaus.
Kritik von Dr. Franz Gratl
Kontakt zur Redaktion
The Voice of England:
Ort: Schloss Ambras,
Werke von: Henry Purcell, Joseph Haydn
Mitwirkende: Rosemary Joshua (Solist Gesang), Johann Sonnleitner (Solist Instr.)
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