> > > > > 16.12.2022
Samstag, 30. September 2023

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Ronja Donath (Sancho Panza) und Konstantin Marsch (Don Quijote), Copyright: Maximilian Borchardt

Ronja Donath (Sancho Panza) und Konstantin Marsch (Don Quijote), © Maximilian Borchardt

Familienstück „Don Quijote und Sancho Panza“ am Nationaltheater Mannheim

Musikabenteuer können alle erleben

Das Nationaltheater Mannheim bietet an seiner Interimsspielstätte, dem Musensaal im Rosengarten, vor und nach den Festtagen ein zauberhaftes Musiktheatererlebnis für Menschen ab 8 Jahren. „Don Quijote und Sancho Panza“ lautet der Titel dieses knapp 80-minütigen musikalischen Familienstücks. Im Mittelpunkt steht der verrückte Ritter Don Quijote mit einer Fantasie, die jeden in den Bann zieht, und sein getreuer Knappe, der dafür sorgt, dass die Realität nicht verloren geht. Die Stückeentwickler Oliver Riedmüller, Polina Sandler und Maren Schäfer schufen mit Elementen aus Cervantes Don Quijote eine zeitgemäße Geschichte. Das Erlebnis der Freundschaft spielt hierbei eine große Rolle, aber auch die Sehnsucht der Kinder nach einer friedlichen Welt.

Lesen ist wie Kino im Kopf. Ein gern zitierter Ausspruch, wenn es darum geht, Menschen zum Lesen zu animieren. Bei Don Quijote hat dies allerdings fatale Folgen. Fasziniert von der Welt der Ritter, die in den Büchern so ruhmreich beschrieben wird, verliert er sich in seinen Phantastereien. Den Einkaufswagen mit den verstaubten Büchern erkennt er als sein Pferd Rosinante, Bagger verwandeln sich in grüne Drachen, Pflanzen in goldene Helme. Das geht so lange gut, bis ihn seine Tagträume in den Wahnsinn treiben. Besessen von der Vorstellung, Sancho Panza sei von einem bösen Zauberer verhext, wird er zum Gefangenen seiner Illusionen.

Sancho Panza, in Mannheim weiblich und seine Freundin, zeigt nicht nur Verständnis für die Eigenarten ihres Freundes, sondern tut alles, damit er in seiner Fantasiewelt keinen Schaden nimmt. Bis die Situation eskaliert. Die Kinder, die zunächst Gefallen an den Geschichten von Don Quijote fanden, greifen zu drastischen Maßnahmen, um ihn aus seinem Wahn zu befreien. Ritterregeln, die Don Quijote einst jegliche Lust verwehrten, werden neu formuliert. Vereint besingen sie am Ende ihren Traum von einer Abenteuerwelt, die allen gefällt. Ein bisschen etwas von Pippi Langstrumpf, den Fünf Freunden und vielen weiteren Kinderkrimis und Abenteuererzählungen fügt sich hier zu einer neuen Fantasiewelt zusammen.

Maren Schäfer hat den Bühnenraum für ihr Regiekonzept optimal genutzt. Es ist eine Mischung aus Dynamik und Ruhe in Abstimmung mit Sprache und Musik, die den Zuschauer einfängt. Eine Zauberwürfel-Konstruktion mit Videoflächen von Judith Selenko erweist sich hierbei als vielgestaltige Form, um den Fantastereien Don Quijotes bildhafte Gestalt zu verleihen. Fantasievolle Helme aus allerlei Kinderzimmergegenständen sowie allerlei Blumen, Holzschwert, Wischmopp und verstaubten Büchern in zwei übervollen Einkaufswagen genügen als Requisiten für die Vorstellung von Don Quijotes Traumwelt und befeuern ganz nebenbei die Fantasie der kleinen Zuschauer.

Konstantin Marsch bietet in diesem Umfeld als Don Quijote ein großartiges Spiel. Er verleiht der Rolle des verrückten Ritters Tiefe und Schärfe. Ronja Donath als Sancho Panza ist eine Allrounderin, Freundin, Managerin, Verbindung zu den Kindern wie dem Publikum, präsent und überzeugend in jedem Spielmoment. Der zwölfköpfige Kinderchor des Nationaltheaters überzeugt mit großartiger Bühnenpräsenz. Sie spielen und sprechen ihre Rollen, singen und tanzen und sorgen durch ihr souveränes Auftreten für Spannung wie Leichtigkeit. Anke-Christine Kober hat sie darauf vorbereitet, unterstützt von Chorassistentin Andrea Weigold und Luches Huddleston jr. bei der Einstudierung der Choreographien.

Schon in Miguel de Cervantes Original ist zu lesen, dass der Ritter ohne Musik nicht sein konnte. Eine Kammermusiktruppe mit Holz- und Blechblasinstrumenten sowie Schlagzeug ist Teil der Geschichte. Sie sitzen links auf der Bühne, glänzen in schillernden Kostümen und verstärken die Fantastereien Don Quijotes durch markante Musik. Dirigent Matteo Pirola garantiert punktgenaue Einsätze und schwungvolles Musizieren in jedem Moment.

Genial gelingt der Schachzug, ausnahmslos Kompositionen des 20. Jahrhunderts wiederzugeben. Darius Milhaud, György Ligeti, Mauricio Kagel, Erwin Schulhoff und Jean Francaix einte die Suche nach neuen Klängen. In einem Konzert erreicht man damit nur Spezialisten. Doch hier sind die Auszüge aus ihren Werken selbstverständlich eingebaut neben Arrangements spanischer und lateinamerikanischer Weisen, die hierzulande längst so etwas wie Volksliedstatus genießen. „Un poquito cantas“ beispielsweise führt sogar die Hitliste der Songs in den Singklassen an. Ein bisschen singen, ein bisschen tanzen, so die Kernaussage, wird in dieser Inszenierung zu einem raumfüllenden Erlebnis.

Es ist die dritte Spielzeit, die Oliver Riedmüller am Nationaltheater in Mannheim als Kulturvermittler für Oper und Tanz aktiv gestaltet. Don Quijote und Sancho Panza ist sein erster größerer Beitrag in enger Abstimmung mit der Dramaturgie und der Regie. Kulturvermittler eint die Zielsetzung, einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu eröffnen, was eine Musiktheaterbühne bietet, um sich dann eine Meinung zu bilden. Mit „Don Quijote und Sancho Panza“ öffnet er die Tür ganz weit. Wer Gelegenheit hat, dieses musikalische Familienstück in Mannheim zu erleben, wird nicht nur seine Einstellung zu zeitgenössischer Musik neu überdenken.

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Kritik von Christiane Franke

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