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Der fliegende Holländer, Szenenfoto, © Enrico Nawrath
Der Fliegende Holländer in Bayreuth
Vergehen im Ascheregen
Da sitzt er nun inmitten bierseliger Biedermänner, räkelt sich auf einem Klappstuhl und beäugt misstrauisch die Szenerie. Glatzköpfig, stoisch grimmige Ruhe strahlt er aus. Sein grobgestrickter weisser Seemannspulli sagt: ich bin Seemann. Seine protzige Uhr, die Geldbündel, die er aus der Tasche zieht, sprechen Bände. Er ist reich und er weiss: ein jeder ist käuflich. Später wird er eine Pistole ziehen und drei Bewohner abknallen, kaltblütig und ohne Skrupel. Häuser werden am Schluss im Ascheregen ertrinken. Er wird sie anzünden lassen. Denn er ist auf Vergeltung aus, verlangt nach Vernichtung und dem Stillen seiner Qual, seiner Seelenqual, die wie ein Ozean in ihm tost. "Ewig meine Qual", das strömt aus ihm als Grusswort in die bierselige Runde. "Die Frist ist um, und abermals verstrichen sind sieben Jahr" ebenso. Wer ist er nur dieser Fremde? Was will er hier? fragen sich die kleinbürgerlichen Stauner am Campingtisch vor der Kneipe. "Wo ist sein Schiff, seine Crew, die romantische Holländer-Story, die alle so lieben, so gewohnt sind?", das fragen wir uns. Immerhin steht doch "Romantische Oper in drei Aufzügen" über der Partitur des ‚Fliegenden Holländers‘, welche der Zukunftsvisionär Richard Wagner 1841 abschloss, umarbeitete und, die 1843 uraufgeführt nach vier Aufführungen am Dresdner Hoftheater unter Wagners Leitung wieder abgesetzt wurde. Mehrmals arbeitetet er sein "Erlösungsdrama" um, bei den Bayreuther Festspielen kam es erst 1911 auf die Bühne.
Herr H. träumt und kehrt zurück
Regisseur Dmitri Tcherniakov zeigt uns eine gut durchdachte, in sich stimmige Holländerausdeutung. Er pustet heimelige Regie-Gefühlsduseleien aus Wagners Erlösungsdrama par excellence heraus. Es ist als wolle er uns mit Wotans, Wagners Worten sagen: "Stets Gewohntes nur magst du versteh’n". Tcherniakov deutet um, sichtet neu, sodass sich der Sinn und das Profil des "Holländers" anders erschliesst. Obwohl. Tcherniakov bleibt den Ursprungsmotiven treu, die Wagners Holländer beherbergen: der Vereinsamung des Individuums, die Ausgrenzung der Freidenker, (hier die aufbegehrende Tochter Senta) und die Reduzierung der menschlichen Beziehungen auf den reinen, autonomen Mechanismus des Warentausches. Alle Personen leiden und handeln aus traumatisierten, inneren Zwängen heraus. Vieles erklärt sich aus der bebilderten, berauschend wild tönenden Ouvertüre. So sehen wir im Vorspann wie Daland eine Affäre mit der Mutter des Holländers hat. Verstossen von Daland, vom Pfarrer, der Dorfgemeinschaft wegen des unehelichen Holländerkindes, erhängt sich die verzweifelt Einsame. Der kleine Holländer muss zuschauen. Dies geschieht in einem engen Klinkerstein-Küstendorfambiente mit fünf verschiebbaren Häuserfronten und einem Spitzkirchenbau. Mief und Spießbürgerlichkeit der sechziger Jahre weht durch die kahlen Gassen. Tcherniakov entwarf hierzu das gespenstisch Brutalismus atmende Ambiente. Gleb Filshtinsky leuchtet dies nadelstichfein in kühles Weiß getaucht aus. Die famosen Kostüme entwarf Elena Zaytseva.
Jahre später kehrt er dann zurück, der seit seiner Kindheit traumatisierte Holländer mitsamt seiner mafiösen Crew. Und, sein Rachefeldzug beginnt: an den Bewohnern und Daland, dem vermeintlichen Peiniger der Mutter. "Wann dröhn’t er, der Vernichtungs-Schlag" gewinnt so anders an Raum. Und, vieles erinnert an Dürrenmatts tragische Komödie "Der Besuch der Alten Dame". Dass Mary (Marina Prudenskayas singt sie mit feiner Mezzobrachialität) am Ende den Holländer erschiesst, um Senta vor dem Zugriff männlicher Brutalität zu retten, ist ein Regieschachzug. Denn auch Mary ist es leid, die Lieblosigkeit von Daland zu ertragen. Sie ist eine einsam duldende Leidende, eine vernachlässigte Seele, die Dalands Ehebrüche unter dem Deckmantel häuslicher Normalität schon lange satt hat. Georg Zeppenfeld, ein vokal brillanter Verwandlungskünstler, gibt diesen sturen, beflissen gierigen Vater Daland, der Senta höchstbietend zum eigenen Nutzen verschachern will. Ein mieser, biederer Typ sondergleichen. John Lundgren (Holländer), mit höhnischer Stimme und aalglatter Gesinnung überzeugt mehr als souverän. Als verzweifelter Erik, der Senta seine Liebe aufdrängen will, singt mit einem schönem, beeindruckend flexiblem Tenor der Amerikaner Eric Cutler. Auch er ist ein Einsamer, ein hoffnungslos, vergeblich kämpfender Verliebter. Attilo Glaser gibt den beherzt munteren Steuermann, der halb träumend, halb wachend sein "Von des Süden’s Gestad, aus weitem Land, ich hab‘ an dich gedacht!" am Campingtisch sitzend unter die Trinkgenossen wirft. Star des Abends ist Asmik Grigorian, die eine berauschend umwerfende Senta lebt, atmet, ja zelebriert. Dies tut sie aus reiner Verzweiflung, um nicht am familiären Mief zu ersticken. Ihr Aufbegehren gegen das Establishment entspricht ihrer Natur. Als Salome haben wir Asmik Grigorian auch schon so rotzfrech erlebt. Ein wenig scheint es, als sei ihr die Rolle der rebellischen, Zigaretten plotzenden, alle reizen wollenden Göre vom Regisseur auf den Leib geschrieben. Asmiks Senta-Ballade - die Szenerie spielt bei der wöchentlichen Chorprobe der einsamen Frauenherzen auf dem Dorfplatz - besticht durch glasklare Spitzentöne und ausladende farbige Expressivität. Gelobt werden muss der stimmgewaltige Festspielchor (Leitung: Eberhard Friedrich), der unter erschwerten Bedingungen nicht nur im "Holländer" das gewohnt hohe Niveau der Festspiele präsentiert.
Am Ende dieses höllischen Rachefeldzuges brennt das Küstendorf. Qualm und rote Flammen schlagen 'gen Himmel. Der Holländer hat wie in "Biedermeier und die Brandstifter" das vermaledeite Dorf angezündet. So gewinnt der erste Satz des Holländers "Die Frist ist um" Gewicht und erfährt zugleich durch Tcherniakov Brechtsche Umdeutung.
Frenetisch gefeiert wurde nach 150 Minuten musikdramatischer Hochspannung aus dem Graben die erste Dirigentin auf dem Grünen Hügel Oksana Lyniv. Das umsichtig, farbenprächtig musizierende Orchester der Bayreuther Festspiele lässt keine Zweifel offen, dass hier eines der besten Wagner Orchester waltet. Dieser "Holländer" ist ein grosser Wurf. Seine musikdramatische Deutung ist auf dem Grünen Hügel und beim Publikum angekommen. Bravo!
Kritik von Barbara Röder
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Fliegender Holländer: Richard Wagner
Ort: Festspielhaus,
Werke von: Richard Wagner
Mitwirkende: Marina Prudenskaja (Solist Gesang), Georg Zeppenfeld (Solist Gesang), Eric Cutler (Solist Gesang)
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