Heather Engebretson, Konstantin Kimmel, © Karl und Monika Forster
'Die Hochzeit des Figaro' in Wiesbaden
Subtile Revolte
Oper an allen Orten, ja das gibt es wieder, aber in voller Länge nur am Staatstheater in Wiesbaden und jetzt auch mit Berührung und Küsschen, wie man es eben kennt. So geschehen zur jüngsten Premiere von Mozarts 'Die Hochzeit des Figaro' im Rahmen eines ‚Figaro-Triple‘ zum Saisonauftakt am Staatstheater Wiesbaden. Nach der Samstags-Premiere mit 'Der Barbier von Sevilla' folgte am Sonntagabend 'Die Hochzeit des Figaro'. Das Schauspiel 'Figaro lässt sich scheiden' von Ödön von Horváth ergänzt diesen Reigen. Die Premiere folgt coronabedingt in zeitlichem Abstand zu diesem Opern-Duo.
Positionierung
Intendant Uwe Eric Laufenberg, verantwortlich für die Inszenierung von Mozarts vieraktiger Opera buffa, positionierte sich damit einmal mehr in seinem Engagement um Grundrechte und Kultur in Corona-Zeiten, nicht minder emotional und provozierend wie in seinen Solo-Diskursen, nur wählte er in diesem Fall einen subtileren Weg. Wer Tilo Nests spritzigen 'Barbier von Sevilla' am Vorabend erlebt hatte, mochte stutzen. Das Figaro-Triple an sich suggerierte Fortsetzung einer wie auch immer kritischen Deutung. Verstärkt wurde diese Erwartungshaltung durch das Vorspiel zur Ouvertüre, die Einblendung des berühmten Figaro-Cartoon mit Tom und Jerry aus den 1960er Jahren als augenzwinkernde Zusammenfassung von Rossinis 'Der Barbier von Sevilla'. Auch im Bühnenbild knüpfte man an. Gisbert Jäkel hatte die für die Rossini-Premiere eingesetzte Balkonszenenfassade in der ersten Szene von 'Die Hochzeit des Figaro' eingebaut.
Spätestens ab dem ersten Kulissenwechsel war jedoch klar, dass nichts so sein würde wie am Vorabend. Laufenberg platzierte die Szenerie in altmodisch ausgestatteten Räumen mit staubigem Plüsch und zwischen Plastikhecken, so wie man es aus Tourneetheaterproduktionen des vorigen Jahrhunderts kennt. In diesem rein funktionalen Umfeld lenkte er den Fokus auf die Turbulenzen einer Gesellschaft, die einzig damit beschäftigt ist, dass er sie und sie nur ihn bekommt, hintergeht, betrügt, ersehnt, und das in einer zeitlosen wie unkritischen Gegenwart. Intensität wie Stimmigkeit erzielte er dabei durch eine in jeglicher Hinsicht ausgeklügelte Personenregie mit reichlich Raum für Entwicklung und Ausdruck der Charaktere.
Fest der Stimmen
So erlebten die 200 Besucher 'Die Hochzeit des Figaro' vor allem als ein Fest der Stimmen und der Spiellust, denn ausnahmslos jede und jeder der Solisten verstanden es, ihre Partien mit Leben auszufüllen und emotionale Empfindlichkeiten stimmlich nuanciert auszuloten, allen voran Heather Engebretson, überzeugend pubertär-knabenhaft in der Hosenrolle als Cherubino, Anna El-Kashem als entschieden selbstbewusste wie quirlige Susanna mit zartesten Tönen in ihren sinnlichen Arieninterpretationen, Slávka Zámečníková als kluge Gräfin Almaviva mit strahlendem Klang und Konstantin Krimmel als stimmlich wie charakterlich überraschend sensibler Figaro.
Kühne Taten
Benjamin Russel zeichnete Graf Almaviva als herrischen Großgrundbesitzer und Geschäftsmann, der auch mit seelenvollen Tönen zu überraschen verstand. Mit einem Amadeus-Toupet zu einem blonden Mann mutiert, mochte man das als Referenz an Mozart, den Kühnen, deuten, der es wagte, den hochexplosiven Schauspielstoff von Beaumarchais für seine Oper auszuwählen. Was dem Kaiser nicht gefiel, strich sein Librettist Da Ponte und überließ es dem Talent Mozarts, mit Musik zu sagen, was im Text in drei Punkten endete.
Darauf konzentrierte Konrad Junghänel, Grandseigneur der kammermusikalisch ausgerichteten und historisch orientierten Aufführungspraxis, die Interpretation. Unter seiner Leitung gelangen dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden in einer für Mozart üblichen kleineren Besetzung Klarheit selbst in den turbulentesten Augenblicken, zarteste Momente und orchestrale Fülle. Der Chor, wie am Abend zuvor in kleiner Besetzung und dezent auf Abstand agierend, sang die huldvollen Partien überzeugend. So erlebte das Publikum genussreiche dreieinhalb Stunden, wobei man die Sänger immer wieder auf Tuchfühlung erlebte, wenn auch dezent, was der Darstellung aber eher intensitätssteigernd entgegenkam.
Auf Tuchfühlung
Alles wie gewohnt also, wären da nicht andere Opernhäuser, die Programme gnadenlos reduzieren, Freiluftorte zum Auftritt vorziehen, Publikumspausen streichen, Abstände verordnen und maximal reduzierte Kammerbesetzung auf der Bühne gestatten trotz Corona-Tagebüchern, reihenweiser Tests, streng eingehaltener Hygiene-Konzepte und sonstiger Vorsichtsmaßnahmen.
Dass in der Tat viel mehr geht, bewies Laufenbergs Regiearbeit, unmissverständlich in der Schlussszene provoziert, als alle das herrlichste Glück besangen und aufeinander losstürmten, sich berührten, umarmten, sich schließlich verbeugten, Schulter an Schulter, Hand in Hand, mit und ohne Mund-Nasenschutz gemäß der Empfehlungen im Bereich ‚Vorstellungs- und Probenbetrieb‘, der dem Einzelnen im letzten das Recht zugesteht, für sich zu entscheiden, was gut tut.
Kritik von Christiane Franke
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Le nozze di Figaro: W. A. Mozart
Ort: Hessisches Staatstheater,
Werke von: Wolfgang Amadeus Mozart
Mitwirkende: Konrad Junghänel (Dirigent), Orchester des Staatstheaters Wiesbaden (Orchester)
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