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Montag, 2. Oktober 2023

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John Wilson/Louis Schwizgebel, Copyright: Astrid Ackermann

John Wilson/Louis Schwizgebel, © Astrid Ackermann

Das BRSO und Louis Schwizgebel

Souveräne Klangpräsenz

Ein Debüt konnte man beim gestrigen Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal der Münchner Residenz erleben – erstmals stand der britische Dirigent John Wilson am Pult. Musikalisch viel mit Hollywood und dem Broadway hat dieser sich von jeher beschäftigt, ein dazu passendes, ganz und gar amerikanisch geprägtes Programm hatte er zu dieser Premiere mitgebracht. Als Andreas Ludwig Priwin wurde der besser unter seinem künstlerisch abgewandelten Namen bekannt gewordene André Previn ursprünglich in Berlin geboren. Über Paris führte ihn und seine Familie der Emigrationsweg in die USA, wo er als Multitalent spartenübergreifend sowohl als Jazzmusiker als auch im klassischen Fach als Pianist, Dirigent und Komponist reüssierte. Die 'Ouverture to a Comedy' aus der Feder des späteren Ehemanns von Anne-Sophie Mutter stand am Anfang des Konzerts, mit perfekter stimmlicher Synchronisation zeichnet das BRSO in opulenter Besetzung mit ebenso feinem wie kräftigem Pinselstrich das originelle Kolorit der Komposition. Im Spannungsfeld zwischen kernigen Blech-Impulsen und einem fein gesponnenen Streichernetz vereint Wilson gekonnt das ausgeprägt perkussive Momentum in Gestalt wuchtiger Paukenschläge mit spielerisch-spritziger Leichtigkeit. Ungetrübt intonierte Holzbläser-Passagen kennt man vom BRSO nicht anders.

Absolute Klarheit

Nach kurzem Umbau nimmt der chinesisch-schweizerische Pianist Louis Schwizgebel in Gershwins 'Concerto in F' am Flügel Platz. Vom Beginn des ersten Abschnitts an offenbart sich eine absolut klare Diktion als Markenzeichen seines Spiels. Skalen perlen mit gläserner Reinheit, ungemein transparent ist seine Klangschichtung, selten hört man einen derart sauberen Pedalgebrauch, von dem kein einziger Ton verschluckt wird. Technisch über alle Zweifel erhaben, trifft er auch stilistisch die rhythmische Raffinesse und die virtuos funkelnde, jazzige Attitüde des Stücks. Die Koordination mit dem Orchester stimmt, dessen homogener Tutti-Klang und griffige Pizzicato-Akzente verschmelzen im Mittelteil mit Schwizgebels geschärftem Anschlagsprofil und seiner leuchtenden Unisono-Rhythmik zu einer elastischen, souveränen Klangpräsenz. Im Schlussteil glänzt Schwizgebel mit rasant geschliffenen Repetitionen und kraftvoller Impulsgebung – die schwungvolle Phrasierung des BRSO macht ohnehin immer Spaß. Als ‚rhythmische Orgie‘ hat Gershwin dieses Finale beschrieben – als solche zelebrieren es die Beteiligten. Als Zugabe bedankt Schwizgebel sich mit einer hochsensibel vorgetragenen pianistischen Rarität: Erwin Schulhoffs 'Chanson' aus den '5 Jazz Etudes'.

Prägende Handschrift

Monumental geht es nach der Pause weiter. Erich Wolfgang Korngolds Symphonie Fis-Dur op. 40 stellt hohe spieltechnische Anforderungen an die Orchestermusiker – eine Hürde, die das BRSO mit Leichtigkeit nimmt. Ganz im Zeichen der Überschrift 'Moderato, ma energico' beleuchtet es das überbordende Temperament des Kopfsatzes zwischen Pizzicato und Percussion. Anderes als die souverän vorgetragenen Flöten- und Klarinettensoli ist man vom BRSO gar nicht gewohnt. Radikal dynamische Exzesse, schroffe Akzentuierungen und wuchtig-pathetischer Gestus werden im Scherzo von nervös zuckendem, dynamisch subtil aufgefächertem Tonfall abgelöst. Unverhohlene, gleichzeitig raffiniert modifizierte Anleihen macht Korngold hier bei seinem eigenen filmkompositorischen Schaffen, erklärtermaßen hat er nie wirklich strikt zwischen absoluter und programmatischer Musik unterschieden.

Silbrig glänzender Geigenklang funkelt im Trio, kantable Momente wechseln mit brillant ineinandergreifender, vorwärtsdrängender Stimmführung. Im langsamen dritten Satz greift eine langgezogene, weit ausholende Melodik um sich, die das BRSO mit höchster Expressivität schweben lässt. Zupackenden Elan hat nochmal das Finale, dessen thematisch-agogische Verspieltheit der Klangkörper mit mal schneidend durchdringender, synkopierter Schärfe, mal mit intimem Pianissimo dramaturgisch zuspitzt. Noch immer kann und mag man es sich kaum vorstellen – erst 14 Tage ist es her, dass Chefdirigent Mariss Jansons verstorben ist, auch an diesem Abend tragen sich noch zahlreiche Besucher in das ausliegende Kondolenzbuch ein. Und spontan fühlt man sich nach diesem Konzert an die rückblickend so treffende Charakterisierung von Solo-Bassist Heinrich Braun aus den Reihen der Musiker erinnert: ‚Er hat die Emotionalität in unsere DNA geschrieben‘. Auch wenn hier John Wilson am Pult stand (und das soll dessen Leistung als Experte für dieses programmatische Genre keineswegs schmälern) – diese DNA hört man auf musikalischem Schritt und Tritt, sie ist und bleibt unverwechselbar Jansons‘ genial prägende Handschrift.

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Kritik von Thomas Gehrig



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Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: John Wilson/Louis Schwizgebel

Ort: Residenz (Herkulessaal),

Werke von: George Gershwin, André Previn, Erich Wolfgang Korngold

Mitwirkende: John Wilson (Dirigent), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (Orchester)

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