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Mick Mehnert (Der Zwerg), Elena Tsallagova (Donna Clara), © Monika Rittershaus
Zemlinskys 'Der Zwerg' an der Deutschen Oper
Tenorales Großereignis
Premiere an der Deutschen Oper Berlin: einhelliger Jubel, keine Buhs. Passiert auch nicht alle Tage. Es gab Alexander von Zemlinskys Einakter 'Der Zwerg' von 1922, kombiniert mit der 'Begleitmusik zu einer Lichtspielscene' (1930) von Arnold Schönberg. Inszeniert von Tobias Kratzer, dem neuen Bayreuth-Regisseur.
Dass seine in kaltes Weiß getauchte Inszenierung (Bühne: Rainer Sellmaier), die ein kahles Konzertpodium darstellt mit Orgel im Hintergrund und den Büsten großer Meister drumherum, dass diese Inszenierung, bei der über eine Stunde lang nichts visuell Sinnliches passiert, derart mit Beifall überhäuft wird, liegt vermutlich an den Sängern. Denn da hat der Besetzungschef der DOB einen feuchten Zemlinsky-Traum aufgeboten: David Butt Philip singt den Zwerg mit einer Schönheit, einem Schmelz, einem Peng in den Höhen, einer Souveränität, einer Leidenschaft, einer Ekstase, dass es atemberaubend ist. Das war absolute Weltklasse, auch in der sympathischen optischen Erscheinung! Daneben Elena Tsallagova als Partygirl mit Glitzerkleid und durchschlagendem Sopran; auch das ein Ereignis.
Das Stück basiert bekanntlich auf dem Märchen 'Der Geburtstag der Infantin' von Oscar Wilde, es geht um zentrale Themen vieler Wilde-Geschichten: die Sehnsucht nach Schönheit und Jugend, und den Schock, wenn man den Idealen von Schönheit und Jugend nicht entsprechen kann, wie es der Zwerg mit seiner ‚grotesken Erscheinung‘ tut, ein ‚phantastisches kleines Ungeheuer‘, wie‘s bei Wilde heißt, das mit seinen körperlichen Verrenkungen die kindliche Infantin von Spanien mit ihren Freundinnen zum Lachen bringt. Bis er erkennt, dass seine Sehnsucht nach Liebe und der weißen Rose, die die Infantin ihm schenkt, nur ein Wahn ist – dass er ausgestoßen wird wegen seines Äußeren. An der Erkenntnis, nicht dazuzugehören, geht er elendig zugrunde.
Instagram-Zeitalter
Wenn man die Biografie von Oscar Wilde kennt, weiß man, was das für ihn im wahren Leben bedeutete. Es ist nach wie vor eine der zentralen Metaphern unserer Zeit, gerade heute im Instagram- oder Selfie-Zeitalter, wo alle sich von ihrer schönen, jungen, blendenden Seite mit perfekten Körpern, perfektem Lachen, perfekten Posen zeigen wollen, um möglichst viele Likes zu bekommen. Wer nicht so aussieht wie ein fitnessgestählter Traummann/-frau, hat keine Chance. Diesen Aspekt deutet Tobias Kratzer kurz an, als er alle Gäste der Geburtstagsparty mit Handys Fotos machen lässt. Aber ansonsten fällt ihm zur Geschichte eines Mannes, der sich selbst gnadenlos falsch einschätzt und überschätzt, bis er erkennt, dass er ein optisches ‚Monster‘ ist, nicht viel ein. Und die verzweifelte Suche nach der unerreichbaren Schönheit – sie bleibt eine Behauptung, man sieht davon nichts auf der Bühne.
Mehr noch: Die Rolle des Zwerg ist zweigeteilt, zum einen steht da der stattliche David Butt Philip im Frack und singt die Sterne vom Himmel, zum anderen spielt der kleinwüchsige Mick Morris Mehnert den ‚Zwerg‘, ebenfalls im Frack. Er ist ein liebenswerter Mensch, der in der Kratzer-Regie ohne jeglichen interpretatorischen Kontext als ‚Tier‘, als ‚Abartiger‘, als ‚Monstrosität‘ bezeichnet wird. Ich fragte mich: Ist das Kratzers Ernst, inmitten all der aktuellen Diskussionen um politische Korrektheit, wie wir mit anderen Menschen umgehen wollen, wie wir andere behandeln sollten, die körperlich nicht dem Standardschönheitsideal entsprechen? Mick Morris Mehnert als Zwerg ist nicht grotesk, nicht abstoßend, nicht verformt, nicht hässlich. Er ist einfach so wie er ist. Und er spielt sich mehr oder weniger selbst. Nicht das eitle Monster des Märchens, sondern als Mann von hier und heute. Und dadurch wirkt es noch erschreckender, die Texte in dieser Weise auf ihn bezogen zu hören.
Maximale Unsinnlichkeit
Muss man das nicht kontextualisieren? Muss man als Regisseur dazu nicht irgendwie eine Haltung aufbauen? Oder ist das die Haltung: Das der Zuschauer sich fragen muss, wie er sich zu solchen Sätzen positioniert? Wie gesagt, auf der Bühne sieht man maximale Unsinnlichkeit, die getragen wird vom emphatischen Gesang der beiden Protagonisten, ebenso von Philipp Jekal als Haushofmeister Don Estoban und bis zu einem gewissen Grad auch von Emily Magee als Vertraute der Prinzessin, Ghita.
Auch Donald Runnicles lässt aus dem Orchestergraben üppige Farben aufsteigen, allerdings ohne je eine echte Überwältigungsstrategie für den Gesamtabend zu entwickeln. Das ist kein Zemlinsky-Sound zum Süchtigwerden, aber einer, der einschmeichelt. Das gilt auch den luxuriösen Frauenchor (Einstudierung: Jeremy Bines), allerdings auch ein überflüssiges Pseudo-Orchester auf der Bühne. Im Vorspielt wird eine Art Pseudo-Stummfilm präsentiert, wo man Zemlinsky mit der angebeteten Alma am Klavier sitzen sieht, bis sie ihn verstößt. Wie im echten Leben. Weil er so klein und hässlich und jüdisch war. (Mit Adelle Eslinger als Alma und Evgeny Nikiforov als Alexander, beide klavierspielend.) Das ist allerdings so langweilig umgesetzt – als Stummfilmaktion – wie die Zemlinsky/Alma-Komponenten im darauffolgenden 'Zwerg' nicht existent ist. Oder anders ausgedrückt: Es ist eine Behauptung, wenn man den Programmheftbeitrag von Arne Stollberg gelesen hat, kein fühlbares Element der Inszenierung.
Zum Schluss singt der Zwerg, sterbend am Boden liegend, dass er noch einmal die weiße Rose berühren möchte, die ihm die Infantin geschenkt hatte. Auf der Bühne stellt dazu ein Bühnenarbeiter eine Zemlinsky-Büste auf. Das war‘s. Ich fand‘s ein bisschen dürftig, was die interpretatorischen Möglichkeiten dieses Stoffes angeht. Aber immerhin: gesungen wurde göttlich!
Kritik von Dr. Kevin Clarke
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Der Zwerg: Oper von Alexander von Zemlinsky
Ort: Deutsche Oper,
Werke von: Alexander von Zemlinsky
Mitwirkende: Donald Runnicles (Dirigent), Tobias Kratzer (Inszenierung), Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester), Elena Tsallagova (Solist Gesang)
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