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Ray Chen, © Sophie Zhai
Ray Chen in Baden-Baden
Glücksgriff
Nicht ganz planmäßig verlief der diesjährige Pfingstmontag der Baden-Badener Festspiele: Schon im Vorfeld des Konzerts zeichnete sich ab, dass aus gesundheitlichen Gründen nicht wie vorgesehen Janine Jansen als Solistin auftreten würde, an ihrer Stelle konnte letztendlich Ray Chen verpflichtet werden. Ein echter Glücksgriff, wie sich gleich zu Beginn herausstellen sollte: Am Anfang dieses reinen Sibelius-Abends steht dessen Violinkonzert op. 47. Schon im Kopfsatz zeigt Chen, welch enormes Potential ihm zur Verfügung steht und weshalb er schon zahlreiche Preise abgeräumt hat. Seinen lupenreinen Ton setzt er gekonnt ein, um zwischen markanter Artikulation mit rauen Akzentuierungen und sensiblem Piano-Timbre zu changieren. Phrasen gestaltet er mit jeder Menge Vitalität und Spielfreude aus.
Ideale Balance
Kein noch so guter Solist allein kann ein rundum gelungenes Gesamtpaket schnüren, entscheidender Faktor hierfür ist ein fruchtbarer Dialog mit dem Orchester. Hier erweist sich das London Symphony Orchestra unter Michael Tilson Thomas als kompetenter Partner. Mit subtil ausgewogener Dosierung findet der Klangkörper einen idealen Draht zum Solopart, beide Seiten verstehen es bestens, aufeinander zu hören. Das gilt auch für die expressiv ausgeformten melodischen Bögen des Adagio di molto. Lediglich eingangs des Finalsatzes hätte man sich vom Orchester eine etwas nuancenreichere, dezentere Schattierung gewünscht. Ray Chen kann sich auch hier auf sein souveränes technisches Können verlassen, mit seinem kraftvoll-impulsiven Spiel ist er in der Lage, dem Werk seinen individuellen Stempel aufzudrücken, und trifft exakt den kompositorischen Nerv der Musik. Beim begeisterten Publikum bedankt er sich als Zugabe mit Paganinis 'Caprice' Nr. 21 und Bachs allseits bekannten 'Gavotte' und 'Rondeau'. In beiden Stücken unterstreicht er sein virtuoses Ausnahmekönnen und seine hohe Musikalität.
Skandinavischer Klangrausch
Nach der Pause schwelgt das Orchester mit sattem, warmem Streicher-Timbre und beeindruckender stimmlicher Homogenität zunächst in den Sphären von Sibelius‘ Sinfonie Nr. 6 op. 104. Auch im ausladenden Einzelsatz der Siebten setzt es dynamische Ausrufezeichen zwischen voluminösen, wirkungsvoll angelegten Crescendi und introvertierter Melancholie. Und so braucht man an diesem Abend keine Angst vor einer ‚Überdosis‘ Sibelius zu haben – im Gegenteil: Nach diesem mitreißenden skandinavischen Klangrausch wünscht man sich nur mehr davon. Zum pathetischen Ernst des Hauptprogramms setzen die Londoner zum Abschied als originelle, von ihrem Ehrendirigenten persönlich anmoderierte Zugabe den Kontrast von Benjamin Brittens 'Let‘s chase a squirrel' und lassen den umdisponierten Abend damit fulminant ausklingen.
Kritik von Thomas Gehrig
Kontakt zur Redaktion
Ray Chen: London Symphony Orchestra
Ort: Festspielhaus,
Werke von: Jean Sibelius
Mitwirkende: Michael Tilson Thomas (Dirigent), London Symphony Orchestra (Orchester), Ray Chen (Solist Instr.)
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