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Freitag, 2. Juni 2023

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Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper, Copyright: Wilfried Hösl

Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper, © Wilfried Hösl

Umwerfende 'Lady Macbeth'-Inszenierung in München

Oper wie ein Film

Wahrhaft orgiastisch ist die Musik, sie kulminiert im Liebestaumel und ermattet ironisch, zwischen lyrischer Liebessehnsucht und infernalischer Vergewaltigung oszillierend. Das ist in dieser Form einzigartig in der Operntradition. Bei der Uraufführung 1934 war es ein "großer Wurf", zwei Jahre später wurde das von Stalin als "Chaos statt Musik" geschmähte Werk aber von der Bühne verbannt. Jetzt avanciert es unter der Regie von Harry Kupfer und der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko zum Münchner Opernereignis. Diese 'Lady Macbeth von Mzensk' ist ausgesprochen spannend, mit immer neuen klanglichen und textlichen Überraschungen.

Schostakowitsch bezeichnete sein Werk zu Recht als tragisch-satirische Oper. Beruhend auf der gleichnamigen Erzählung Nikolai S. Leskows ist seine vorsozialistische Lady Macbeth alias Katerina trotz ihrer drei Morde die Sympathieträgerin. Zu widerlich sind die Männer im feudalistischen Umfeld, herrisch impotent der Ehemann, lüstern der Schwiegervater, gewalttätig der neue Knecht Sergei, der jede Frau vergewaltigt und degradiert. Frauen sind nur dazu da, um lächerlich gemacht zu werden. So ausgehungert nach Liebe ist Schostakowitschs Katerina, dass sie sich in diesen Möchtegern-Aufsteiger verliebt und mordet, was diese Liebe verraten könnte: den Schwiegervater und gemeinsam mit dem Liebhaber den Mann. Dessen Leiche wird gefunden. Auf dem Weg in das Gefangenenlager ermordet Katerina Sergeis neue Geliebte und bringt sich selbst um. Gespickt mit  Anspielungen auf die Erniedrigungen der Frau, die Verrohung der Arbeiter, die Versoffenheit der Popen und die Faulheit der Polizei wird die Oper zur bitterbösen Satire der feudalistischen Endphase, durch Bühnenbild und Regie erweitert um die Schikanen totalitärer Systeme.

Hans Schavernoch baut eine gewaltige Lagerhalle, mit Schiebebühnen, Leitern, Stegen als Anspielung auf die technische Gigantonomie der Stalin-Zeit, in der Mitte die schlichte Schlafkammer Katerinas wie ein Stimmungsbarometer: mal tiefer, mal höher, ganz oben in orgiastischer Verschlingung. Darunter ist Raum für das rohe Treiben der Arbeiter. Alles andere grau in grau, leuchtet das Holz golden in der Sonne, blitzt etwas Himmel durch die Kammer. Im roten Kleid wird Katerina zum emotionalen Zentrum. Dem Naturalismus folgt die Groteske der Hochzeitsszene im dritten Akt. Das grellweiße Tableau fährt nach oben, eingefroren die Figuren, während sich im Untergrund die Polizisten auf ihren Bürostühle langweilen, sich schließlich soldatisch formieren, um die Mörder zu fassen. Unter dem weiten Himmel Sibiriens, eingepfercht über die Nacht in ein Erdloch, visioniert sie den Weg ins Gefangenenlager, Stalins hoffnungslosen Gulag.

In dieser gewaltigen Szenerie lässt  Harry Kupfer die Sänger, den Chor, die Statisten derart authentisch agieren, dass eine fast filmische Aura entsteht, die Schostakowitschs Komposition in faszinierende Bilder umsetzt. Durch Kirill Petrenkos umwerfend detailscharfes Dirigat entstehen Facetten filmischer Soundtracks der Extraklasse. Im klanglichen Inferno sexueller Begehrlichkeiten spiegeln sich totalitäre Wucht, in hauchzarten Passagen die Vision vom schönen, besseren Leben, das in dieser gesellschaftlichen Konstellation keine Chance hat. Neue Hörwelten eröffnen sich im ständigen Oszillieren zwischen lyrischem Flirren und apokalyptischem Tutti. Das ist nur möglich durch die grandiose Präzision Petrenkos und die hohe Qualität der Instrumentalisten des Bayerischen Staatsorchesters.

Großartig in allen Tonlagen zeichnet Anja Kampe diese Katerina mit so vielen Seelen in einer Brust: lyrisch zart, leidenschaftlich, mutig beherzt, ängstlich und abgrundtief verzweifelt. Sie überstrahlt das männliche Umfeld, Sergey Skorokhodov (Ehemann), Misha Didyk (Knecht) und selbst Anatoli Kotschergas zunehmend ausdrucksstarken Bariton  (Schwiegervater). Charismatische Akzente gelingen in den Nebenrollen Goran Juric (Pope) und Kevin Conners (Schäbiger), vor allem aber auch dem Chor durch seine berührende Wucht, einstudiert von Sören Eckhoff.

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Kritik von Michaela Schabel

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Lady Macbeth von Mzensk: Oper in vier Akten von D. Schostakowitsch

Ort: Bayerische Staatsoper,

Werke von: Dimitri Schostakowitsch

Mitwirkende: Chor der Bayerischen Staatsoper München (Chor), Kirill Petrenko (Dirigent), Harry Kupfer (Inszenierung), Bayerisches Staatsorchester (Orchester), Anatoli Kotcherga (Solist Gesang), Anja Kampe (Solist Gesang), Sergej Skorokodow (Solist Gesang), Misha Didyk (Solist Gesang), Kevin Conners (Solist Gesang)


Presseschau mit ausgewählten Pressestimmen:

Zutiefst berührend
"Lady Macbeth von Mzensk" in München
(Badische Zeitung, )

Packender Krimi um skrupellose Mörderin
"Lady Macbeth von Mzensk" an der Bayerischen Staatsoper
(Bayerischer Rundfunk (BR), )

Hysterie und Radau in der Fabrikhalle
"Lady Macbeth von Mzensk" in München
(DeutschlandRadio, )

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