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Evelyn Herlitzius als Emilia Marty, © Bernd Uhlig
'Die Sache Makropulos an der Deutschen Oper Berlin
Erinnerungen-Überdosis
Nach München und Wien in den letzten beiden Jahren gibt es nun auch an der Deutschen Oper eine Neuinszenierung von Janáčeks vorletztem Bühnenwerk. Mit Evelyn Herlitzius, der Bayreuther Isolde aus dem letzten Jahr, ist die Hauptrolle prominent besetzt. Neben ihrer Stimmgewalt kann keiner bestehen. Das soll aber auch keiner, denn Elina Makropulos, alias Emilia Marty, ist in der Dramaturgie des Dreiakters der absolute Mittelpunkt, übertrifft bei weitem alle anderen Figuren an Komplexität und Tiefgang. Auch die der Sängerin Emilia Marty zugeschriebene übermenschliche Stimme deckt sich so mit der realen Darstellerin – neben ihr ist es, als ob alle anderen nur sprechen. David Hermann stellt mit stimmigen Mitteln die ewig junge Protagonistin ins Zentrum seiner Inszenierung.
Ich bin EM
Allmählich schält sich aus einem Buchstabengenerator eine Formel: EM = me, wird groß auf die Bühnenrückwand projeziert. Die Initialen sind die einzige Konstante in Elina Makropulos' 337-jährigem Leben, ob als Eugenia Montez, Ellian McGregor oder eben als Emilia Marty. Zwei Buchstaben um Halt zu finden in der Ewigkeit der Weltgeschichte.
Hermanns Platzierung
Regisseur David Hermann bleibt im Rahmen der vorgegebenen 1920er Jahre. Parallel zur Eröffnungsszene in der Anwaltskanzlei laufen die ein Jahrhundert zurückliegenden geschilderten Ereignisse ab, anfangs sogar Lippensynchron gespielt. Geschichte wiederholt sich. Bühnenbild, Licht und Kleidung teilen das Geschehen in zwei klar abgegrenzte Hälften, deren Trennlinie nur von Emilia Marty und dann auch von Albert Gregor durchbrochen wird. So sehr zieht sie den jungen Verehrer in ihren Bann, dass er in ihre Erinnerung mitgerissen wird, freilich ohne einen Einblick hinein zu erhaschen.
Das Umfeld der Prima Donna
Ladislav Elgr als Gregor gibt gut den übermannten Verliebten, ständig am Rockzipfel der überlegenen Marty. Allerdings klingt er zu gepresst, und besonders die Höhen bereiten ihm Schwierigkeiten. Sein Kontrahent Jaroslav Prus wird fasslich und stimmfest von Bassbariton Derek Welton gegeben. Er verleiht dem eiskalten Geschäftsmann einen Raumfüllenden Klang, der sich vor Herlitzius' stimmlicher Fülle nicht verstecken muss. Gideon Poppe als sein Sohn Janek überzeugt darstellerisch und musikalisch ebenso wie Paul Kaufmann als Vitek, Seth Carico mit vollem Bass als Dr. Kolenaty. Auch Krista, die Tochter Viteks, ist mit Jana Kurucová passend besetzt. Von den Bediensteten sticht besonders Rebecca Raffell als Aufräumfrau heraus. Die Kontraaltistin beweist mit dunklem Klang und bestechender Kontrolle außergewöhnliches Material. Robert Gambill verleiht dem als Clown geschminkten und zynisch kommentierenden Hauk-Schendorf die nötige Groteske. Er erkennt als einziger McGregor in Marty wieder und wird hier als Vorbote ihres bevorstehenden Untergangs hervorgehoben.
"Bestie, Kanaille, hat man sie gescholten, erwürgen hat man sie wollen – und ihre Schuld? Dass sie so lange hat Leben müssen. Mitleid hab ich mit ihr!" (Leoš Janáček, 5. Dezember 1925) Janáčeks beachtliche Leistung liegt außerhalb des Musikalischen darin, aus der Vorlage, einer Komödie, eine tiefernste Tragödie gemacht zu haben. Aus der verhassten Frauenfigur ist ein psychologisch vielschichtiger Charakter geworden. Evelyn Herlitzius' hochdramatischer Sopran verleiht der Partie eine emotionale Wucht, die Gänsehaut bereitet. Doubles, die ihre verschiedenen Identitäten widerspiegeln, tauchen in regelmäßigen Abständen auf, bewegen sich unabhängig oder synchron, reflektieren die Handlung und die so zentrale und unerschöpfliche Vergangenheit der Protagonistin. Die Regie unterstützt wunderbar die herausragende Darstellung der Vereinsamten, der Welt Entfremdeten, sodass eine Zusammenwirkung erzielt wird, die ganz den Vorstellungen des Komponisten folgt.
Anachronistische Zusammenfügung
Christof Hetzers klares Bühnenbild und seine schlichten Kostüme, von denen sich die Kleidung der Protagonistin deutlich abhebt, schaffen eine durchsichtige Struktur. Die Videoinstallation von Martin Eidenberger lässt die Konturen des Raumes verschwimmen, womit flashbackartig surreale Momente entstehen. In Verbindung mit dem dezenten und präzisen Licht (Ulrich Niepel) wird die Aufmerksamkeit ganz auf die Handlung konzentriert. Regisseur Hermann verwendet eine angemessene Anzahl deutlicher Symbole und überreizt diese nicht. Statt alles skandalversessen umzuwerfen, bleibt er nah an den Vorgaben des Librettos. So findet beispielsweise der zweite Akt textgetreu an einer Bühne statt, und Emilia Marty schläft mit Prus, um an die gewünschten Dokumente zu kommen, die ihr weitere Jugend verschaffen können. Natürlich und zum Glück hat die Regie dann doch sehr oft ihre eigene Hand im Spiel. Die Protagonistin erkennt am Ende selbst das Unglück der Unsterblichkeit und entscheidet freiwillig, zu gehen. Alle ihre Identitäten brechen zusammen, kollabieren, und Elina Makropulos taucht in ihre Wunscherinnerung ein – mit ihrem Mann Joseph und Sohn Ferdinand. Die Aufschrift EM = me erscheint und schließt den Kreis.
Gib mir irgendwas, das bleibt
Wenn man altert, sterben einem nach und nach Freunde und Verwandte weg, wer Generationen überdauert, durchlebt diesen Prozess wieder und wieder. Natürlich ist es nicht die gleiche EM, die einem auf der Bühne begegnet, wie sie hundert Jahre zuvor gewesen sein soll. Emilia Marty ist tatsächlich jemand anderes als Ellian McGregor. Wer würde schon von sich sagen, dass er mit 15 Jahren der gleiche war wie mit 25, oder mit 25 der gleiche wie mit 35. Ein Jahrzehnt scheint in Makropulos' Leben wie ein Augenblick. Und doch erlebt sie nicht weniger als jeder andere, was unweigerlich dazu führt, dass sie von all den Erinnerungen irgendwann eingeholt, ja geradezu erdrückt wird. Sie hat mehr Lebenszeit verbracht als alle anderen Protagonisten zusammen, Probleme, Gefühle und Bewusstsein der anderen schrumpfen zu einer lächerlichen Nichtigkeit. Mit einem Horizont, der Generationen umfasst, thront ihr Inneres weit über allen anderen, dadurch vollkommen allein. Menschen sind nicht dafür geschaffen mehrere Leben bis in die Unendlichkeit zu führen, was Elina Makropulos irgendwann einsieht und sich endlich selbst erlöst.
Kritik von Konstantin Parnian
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Die Sache Makropulos: Oper in drei Akten von Leos Janácek
Ort: Deutsche Oper,
Werke von: Leos Janácek
Mitwirkende: Chor der Deutschen Oper Berlin (Chor), William Spaulding (Chorleitung), Donald Runnicles (Dirigent), David Hermann (Inszenierung), Orchester der Deutschen Oper Berlin (Orchester), Evelyn Herlitzius (Solist Gesang), Jana Kurucova (Solist Gesang), Robert Gambill (Solist Gesang)
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