> > > > > 26.01.2010
Freitag, 2. Juni 2023

Haus für Mozart Salzburg, Copyright: Hvplux

Haus für Mozart Salzburg, © Hvplux

Mozarts 'Idomeneo' bei der Mozartwoche

Augen zu - und genießen

Der Kontrast zwischen der optischen und der akustischen Komponente dieses Opernabends könnte schärfer kaum sein. Was auf der Bühne zu sehen ist und was aus dem Orchestergraben tönt, stimmt in 'Idomeneo, Re di Creta' (KV 366) bei der Mozartwoche in Salzburg kaum überein. Oliver Py, der das Werk als Koproduktion letzten Sommer für das Festival d'Art Lyrique d'Aix-en-Provence inszenierte, und Mark Minkowski, der die von ihm 1982 gegründeten Musiciens du Louvre dirigiert, beziehen gleichsam zwei Extrempositionen: kühl, beinahe emotionslos, aseptisch gewissermaßen der eine; feurig durchglüht, hoch energetisch und farbenreich der andere.

Oliver Py traut der Kraft dieser vor Einfallsreichtum überquellenden Musik des noch nicht 25jährigen Mozart viel zu wenig und stört eben darum ihre Wirkung durch zu viel Aktion. Arien, Rezitative und Ensembles glaubt er andauernd kommentieren und szenisch gestalten zu müssen, findet dabei aber keine starken, suggestiven Bilder, die unmittelbar einleuchten oder berühren würden. Wer wissen möchte, was sich Herr Py bei seiner Arbeit dachte, ist aufs schmale Programmheft angewiesen. Mythologische Anspielungen (gelegentlich tritt Neptun mit Dreizack auf und verkündet – nicht sehr schlüssig – am Ende gleich selbst die „Botschaft des Himmels“, die den dramatischen Knoten löst), Verweise auf die mythologische Tiefendimension der Geschichte gibt es in dieser Produktion also ebenso wie Anklänge an xenophobe Gewaltakte oder Selbstmordattentate unserer Zeit. Der Regisseur legt einige Fäden, greift sie aber kaum je wieder auf und verknüpft sie schon gar nicht zu einem sinnfälligen Deutungsmuster. Das monströse und ermüdend eintönige Bühnenbild in schwarz, weiß und silbergrau von Pierre-André Weitz erschlägt zudem die Figuren, die sich in ihm bewegen müssen. Unablässig werden mehrere Plattformen aus hellem Metall hin- und hergeschoben, es ist ein ständiges Kommen und Gehen, ein Treppauf und Treppab, dass man am liebsten die Augen schlösse, um wenigstens auf Minuten konzentriert der Musik lauschen zu können. Gerne entkäme man auch dem kalten Neonlicht, das, von zahllosen Spiegeln grell reflektiert, die Augen schmerzt und auf die Dauer von gut drei Stunden kaum erträglich erscheint. Der Schmerz, den Kunst zufügen darf, sollte vielleicht ja doch tieferen Ursprungs sein. Kurz, mehr Rampentheater hätte dieser hektisch wirkenden Produktion sicher nicht geschadet – und ein wenig Farbe, ein wenig atmosphärische Dichte auch nicht.

So sehr die szenische Realisation der Oper enttäuschte, so sehr beglückte ihre musikalische Gestaltung. Und das war vor allem Mark Minkowski und seinem Orchester zu verdanken, dessen kraftvolles und frisches Spiel vorzüglich zum jugendlichen Ungestüm passt, das dieser Musik eigen ist. Von Routine keine Spur. Dafür leuchtende Farben, starke Akzente, steile Dynamik. Freilich, diese Musiker spielen mit solchem Esprit, mit solcher Verve, dass es für die Sänger nicht ganz einfach ist, ihnen ein ebenbürtiger Partner zu sein. So war es vor allem dem Orchester zu danken, dass etwa in der Arie Nr. 4 'Tutte nel cor vi sento', in der Elettra zunächst die Furien der Unterwelt beschwört, um dann all denen mit Rache zu drohen, die ihr Glück zerstört haben, etwas vom dämonischen Furor ihres Zornes zu spüren war, denn Mireille Delunsch blieb recht blaß und war zudem den technischen Schwierigkeiten, diesem markanten, hysterischen Abwärtslachen ihrer letzten Arie Nr. 29a 'D'Oreste, d'Aiace' nicht gewachsen.

Besser meisterte Sophie Karthäuser mit ihrer weichen, wenn auch ein wenig zu kleinen Stimme den Part der Ilia. Die reine Freude war es dann, Richard Croft als Idomeneo zu erleben. Croft begeisterte nicht nur wegen seiner großen Bühnenpräsenz, sondern vor allem mit seiner klaren, kräftigen und doch agilen Stimme. Souverän gelang ihm die große Gleichnisarie 'Fuor del mar' (Nr. 12a), welche die Stürme des Meeres und die Stürme des Herzens mit geradezu halsbrecherischen Koloraturen nachzeichnet, furios unterstützt, nein: befeuert von Minkowski, der den auftrumpfenden Herrschaftsgestus des strahlenden A-Teils der Dacapo-Arie in pompösem D-Dur mit Pauken und Trompeten klar und feinsinnig vom Mittelteil in F-Dur mit seinen zahllosen verminderten Akkorden absetzt, um dann wieder zur gefestigten Ausgangssituation zurückzukehren.

Minkowski und Croft zeichnen das bewegende Bild eines bewegten, um seine Fassung ringenden Herrschers. Ihm auf Augenhöhe begegnen konnte an diesem Abend einzig Yann Beuron als Idamante, der zum Beispiel in der Szene mit Rondo, welche Mozart für eine Liebhaberaufführung in Wien 1786 hinzugefügt  hat (zweiter Akt, erste Szene, KV 490), mit betörenden Pianopassagen zu bannen vermochte. Auch hier entfaltete sich ein schönster Austausch zwischen Sänger und Orchester, denn die Stimme der obligaten Violine tritt mit dem Tenor fast wie bei einem Doppelkonzert – mit freilich recht ungleichen Partnern – mehr und mehr in einen Dialog. Leider überhäuft Py gerade dieses Rondo mit szenischem Aktionismus.  Wohl dem, der davon absehen kann! Augen zu – und genießen!

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Kritik von Christian Gohlke



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Mozart: 'Idomeneo': Mozartwoche Salzburg

Ort: Haus für Mozart,

Werke von: Wolfgang Amadeus Mozart

Mitwirkende: Marc Minkowski (Dirigent), Mireille Delunsch (Solist Gesang), Sophie Karthäuser (Solist Gesang), Richard Croft (Solist Gesang)

Detailinformationen zum Veranstalter Mozartwoche

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